Lesereise - Jakobsweg
in der Stadt und in unserem mondänen Café, das ganz aus Messing, Kupfer und Marmor besteht und trotzdem eine warme Atmosphäre hat.
Wir betreiben Menschenstudien, und zwei Dinge fallen uns besonders auf: Erstens rauchen alle Spanier, mit Ausnahme der Kinder unter zwölf Jahren. Und zweitens haben alle Ringe unter den Augen, wie zum Beispiel auch José Carreras und Placido Domingo. Vielleicht liegt das daran, dass man hierzulande so viel in der Nacht lebt. Heute Nachmittag machte Pamplona bereits einen sehr belebten Eindruck auf mich. Jetzt, um zehn Uhr abends, ist es wirklich belebt, und zwar so wie zum Beispiel Wien während des Stadtfests. Hier scheint jeden Tag Stadtfest zu sein. Auch der Lärmpegel erinnert ein bisschen daran. Die Menschen knien hier regelrecht ineinander, wenn sie sich eine Geschichte erzählen, und dies tun sie so laut, als hätten sie soeben das aufregendste Abenteuer ihres Lebens bestanden.
Wir genießen jedenfalls den kleinen Urlaub von den Ferien. Wir fahren mit dem Bus zum großen Pelote-Stadion in einem Vorort. Kurt Tucholsky hat in seinem Pyrenäen-Buch dieses typisch baskische Spiel wunderbar beschrieben. Wir verstehen es trotzdem nicht. Es kommt uns vor wie eine Art überdimensioniertes Urzeit-Squash. Aber wenn man sich Regeln zurechtlegt, dann kann man sich genauso aufregen wie das begeisterte Publikum.
Dass Barbara – zufällig! – ein halbes Jahr vor unserer Abreise, als wir noch gar nicht wussten, dass es uns auf den Jakobsweg verschlagen würde, einen Spanischkurs besucht hat, kommt mir wie ein besonders gütiger Zug der Vorsehung vor. Sie ist zwar auch noch keine waschechte Einheimische, aber sie kann sich erstens verständlich machen, und zweitens versteht sie zumindest die Hälfte der akustischen Hieroglyphen, die uns um die Ohren fliegen. So ist es in erster Linie ihr zu verdanken, dass wir noch nicht verhungert und verdurstet sind und selbst solche Sonderprüfungen bewältigt haben, wie das Pelote-Stadion zu finden.
Obwohl ich gut Französisch, leidlich Italienisch und Reste von Schul-Latein spreche – hier in Spanien verstehe ich nicht einmal Bahnhof. Noch dazu reden die Spanier so schnell. Ich kann sie ansehen, mich konzentrieren und bemühen, soviel ich will – was aus ihrem Mund kommt, bleiben für mich rätselhafte Töne. Spanien ist ein Land, in dem man mit seinem Latein am Ende ist – und das durchaus im wahrsten Sinne des Wortes. Zum Beispiel: Vom lateinischen »butyrum« über italienisch »burro« und französisch »beurre« bis hin zum englischen »butter« ist quasi europaweit sprachtechnisch alles in Butter, wenn man Butter will. In Spanien heißt Butter »mantequilla«. Aber was wunder, wenn einem einiges spanisch vorkommt in einem Land, in dem Bananen »plátanos« und Oliven »aceitunas« heißen.
Puente la Reina, 26. Oktober
Von jetzt an gibt es nur noch einen Jakobsweg. In Puente la Reina, der »Brücke der Königin«, vereinigt sich auch der schöne, aber wenig begangene Weg aus Arles mit dem Hauptstrom. Je mehr kleine Flüsse zusammenkommen, um so mächtiger wird der Strom, um so kräftiger der Sog nach Santiago. Das meint auch Ursula, die vor drei Tagen hier war: »Ich habe hier eine unruhige Nacht verbracht. Ich beginne schon jetzt, immer langsamer zu gehen. Da ich schon zwölf Wochen unterwegs bin, kommt mir der Weg bis Santiago fast zu kurz vor. Ursula (Hof/Bayern->Santiago).« Also diese Ängste haben wir noch nicht. Immerhin sind es ja noch an die 680 Kilometer bis zu unserem Ziel.
Der Weg aus Pamplona heraus ist nicht sehr schön. Wüste – Agrarwüste –, grau und ocker; darüber ein Licht, das wir nicht mögen, ein helles, gleißendes, kaltes Licht, obwohl der Tag warm ist. Schon vom Hinsehen bekommt man Durst. Man geht und geht – und fast scheint es, als würde Pamplona, kaum, dass man sich umdreht, einen schnellen Schritt vorwärts machen und einem unbemerkt nachlaufen. Die Stadt ist schwer abzuschütteln.
In der Kirche von Zariquiegui finden wir ein neues Beispiel für den spanischen Katholizismus: Sogar die Beichtstühle sind hier nach Geschlechtern getrennt: »Mujeres« steht auf der einen Seite, »Hombres« auf der anderen. Das erinnert mich daran, dass ich gestern in Pamplona in der Bar nicht auf die Toilette hätte gehen sollen, auf der »M« stand.
Unseren Abend hier im angenehmen Kloster- Refugio verbringen wir mit Charles, dem älteren Franzosen, den wir schon in Saint-Jean-Pied-de-Port kennengelernt haben. Er ist 69
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