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Lesereise - Jakobsweg

Lesereise - Jakobsweg

Titel: Lesereise - Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Freund
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Wunder, aber doch eine nette Laune des Weges, dass wir gerade heute durch einen Ort gehen, der El Ganso heißt.
    Rabanal del Camino ist ein schönes, ruhiges Bergdorf mit netter Atmosphäre. Wir fühlen uns hier gleich wohl. Auch das refugio ist angenehm – mit offenem Kamin, neuen Duschen, Wolldecken. Es gibt auch ein zweites, von einem englischen Orden betreutes refugio in Rabanal, das soll überhaupt das schönste des Weges sein … Aber die Engländer sind schon abgereist.
    Rabanal ist ein schönes Beispiel dafür, wie sehr die Orte am Jakobsweg durch die neue Popularität des Pilgerns wieder aufblühen. Rabanal war einst Sitz des Templerordens und eines der wichtigsten Hospize des spanischen Weges. Noch vor wenigen Jahren war davon gar nichts mehr zu merken. 1989 notierte der Pilger Hans Aebli in seinem Buch »Santiago, Santiago«: »Die Hauptgasse von Rabanal del Camino lebte noch, als die Pilger hier durchzogen. Heute ist sie tot.« Zehn Jahre später gibt es in Rabanal zwei refugios und ein Hotel mit Bar sowie sehr gutem Restaurant.
    Fast alle Pilger aus dem refugio von Astorga sind heute hier. Es wird ein wüstes Kauderwelsch aus Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch geredet – so eine Art Pilger-Esperanto. Die Hauptthemen wie immer: Wie mache ich meinen Rucksack leichter; was habe ich wo erlebt; was könnte uns in den kommenden Tagen erwarten; und: wem tut was weh.
Rabanal, 7. November
Eintragung ins Herbergsbuch
    Liebe Ursula!
    Wir sind zwei Pilger aus Österreich. Wir sind am 23. September in Le Puy losgegangen. Sehr bald haben wir erste Nachrichten von Dir in den Herbergen gelesen: In Livinhac, wo Du am Abend alleine warst und zum Zeitvertreib kurzerhand den gîte d’étape geputzt hast (danke übrigens, es war immer noch sehr sauber), oder in Cajarc, wo Du uns durch Deine schriftliche Warnung davon abgehalten hast, denselben Umweg zu gehen wie Du … Jedenfalls hatten wir schon das Gefühl, Dich recht gut zu kennen, und wir hätten uns sehr gefreut, Dich wirklich kennenzulernen. Doch dann haben uns, als uns in den Ebenen vor León die Pilgerkrise schwächte, zwei Autopilger ein Stück mitgenommen. Und dabei muss es passiert sein, dass wir Dich überholt haben. Wir würden uns aber sehr freuen, von Dir zu hören. Wir hinterlassen Dir anbei unsere Adresse, vielleicht kannst Du uns Deine Adresse schicken, damit wir Dir schreiben können. Wir wünschen Dir noch einen schönen Weg bis nach Santiago. Ultreïa! René und Barbara
Molinaseca, 8. November
    In der Früh wird die Herberge zum Lazarett: Eine Knieschwellung, eine Sehnenentzündung am Fuß sowie zweimal Übelkeit sind zu beklagen. Die meisten Pilger bleiben also hier, um noch einen Tag Rast einzulegen. Fit sind, wie immer, nur die älteren Pilger, und, zum Glück, wir.
    Es ist sehr nebelig, der Boden ist mit dickem Raureif bedeckt. Kein Wunder, Rabanal liegt auf 1150 Metern Höhe. Die ersten Stunden geht es heute bergauf, bis zur berühmten Cruz de ferro auf 1490 Metern. Es ist ein kleines Eisenkreuz auf einem hohen Holzstab, zu dessen Füßen Tausende von Steinen liegen – eine Schutthalde der Vergangenheit. Die Tradition will, dass jeder Pilger einen Stein, den er – am besten schon von zu Hause – mitgetragen hat, unter diesem Kreuz ablegt, und damit symbolisch etwas, das er gerne loswerden möchte. Dieser Brauch ist viel älter als das Christentum, denn schon die Römer berichten von der Sitte, einen Stein auf den Monte Mercurio zu tragen. Als wir bei der Cruz de Ferro ankommen, durchbricht gerade die Sonne die Nebelwand. Der höchste Punkt ist auch die Wetterscheide. Von nun an wird es immer freundlicher und wärmer.
    Wir gehen die ersten Stunden mit Paul, einem Polen, der schwere österreichische Bergschuhe sowie einen 26-Kilo-Rucksack trägt und der uns dennoch mühelos abhängt. Dabei hat Paul so wenig Geld, dass er sich altes Brot, das andere im refugio liegen lassen, als Verpflegung mitnimmt. Meist kommen die Pilger aus den reichen Ländern. Dort kann man es sich leisten, die Armut zu suchen.
    Später schließt sich uns Jim an, ein Pilger aus New York State, der in jedes Herbergsbuch seitenfüllend die amerikanische Flagge malt und darunter schreibt: »One pilgrim representing the United States of America«. Eigentlich, so schließen wir nach einiger Zeit aus seinen Erzählungen, hat Jim auf dem Jakobsweg die Frau fürs Leben gesucht, und er ist enttäuscht, dass er sie – so knapp vor Santiago! – noch immer nicht gefunden

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