Lesereise Kulinarium - Italien
singen. In den übrigen römischen Schlemmtempeln wurde schon zum Mittagessen zugelangt. Die Zeitung Il Messaggero interviewte eine Reihe von Pilgern, die vom Petersplatz und der Papstpredigt direkt an die Fleischtöpfe geschwirrt waren und sich von den Reportern peinlich ertappt fühlten. »Wir haben es ja versucht, aber der Hunger war doch stärker«, war die beliebteste Ausrede, und der Messaggero erteilte verständnisvoll Absolution: »Was zählt, ist die gute Absicht.«
Im Vatikan sieht man das im Prinzip nicht viel anders. »Ich habe nicht den Eindruck, dass hier gefastet würde«, sagt Eberhard von Gemmingen. Der Jesuitenpater leitet das deutsche Programm bei Radio Vatikan . Fasten ist nicht unbedingt sein Thema. »Auch in den Ordenshäusern ist außer an den kanonischen Freitagen die Fastenzeit nicht unbedingt sichtbar. Natürlich steht da auch ein wenig vino auf dem Tisch. Das gehört doch dazu. Das kann man doch nicht einfach wegnehmen.« Wurde nicht in den Klöstern während der Fastenzeit das Bier erfunden? Wer aber eigentlich in der Kirchengeschichte auf die Idee mit dem Fasten gekommen ist, daran kann sich der weltoffene Jesuitenpater von Gemmingen jetzt auch nicht mehr so richtig erinnern. »Fest steht: In allen Religionen haben die Gottsucher gefastet. Wie verrückt.« Wie verrückt? »Schreiben Sie das ruhig: Wie verrückt.«
Wenn man auf einer römischen Party richtig Eindruck schinden will, erzählt man am besten von »Sieben Wochen ohne«. Das können sie nicht fassen. »Sieben Wochen ohne was ?« Sono pazzi questi tedeschi , haha, die Deutschen. Jahrzehntelang haben wir sie falsch eingeschätzt, dabei sind die ein richtig lustiges Völkchen. Freiwillig fasten, auf’s Auto verzichten oder auf gesunden Trash im Fernsehen, von anderen Dingen ganz zu schweigen. »Sieben Wochen ohne« löst ähnliche Reaktionen aus wie die detaillierte Schilderung des deutschen Mülltrennungsrituals. »Warum nur«, fragt Metzger Vetta. »Wenn ich mir selbst etwas versage, geht es den anderen doch nicht besser.«
Einer zumindest hält die Regeln ein, einer neben dem Papst, es ist Roms berühmtester Koch. Ein Deutscher, Heinz Beck, Küchenchef im Luxusrestaurant La Pergola, der »Blonde mit dem sanften Blick« (Italiens gefürchtetster Restaurantführer L’Espresso ), der seit Jahren die Bestnote in der Kapitale hält. Beck, nach eigenem Bekunden »sehr katholisch«, fastet an seinen freien Tagen strikt. »Kein Fleisch, kaum Fisch, nur Gemüse«, und wenn er in seinem Restaurant alles probiert, dann im Bewusstsein der Gottgefälligkeit: »Ich esse nicht aus Genuss, sondern weil die Pflicht es so verlangt.« Anders seine Gäste. In den Wochen vor Ostern war die Pergola, wie das ganze Jahr über, stets ausgebucht, manche müssen Wochen und Monate auf einen Termin warten, da kann man nicht pingelig sein. Natürlich hat Beck, der »Fischlastige«, am Freitag auch Fleisch auf der Karte, aber in diesem Jahr sei es doch anders gewesen als sonst, berichtet er. »Zwei kamen, die wollten nur Gemüse, ohne Sahne, ohne Butter, und dabei nahmen sie dieses Wort in den Mund, quaresima .«
Bei uns, nur um das klarzustellen, gibt’s jeden Freitag Fisch. Dabei sind die Kinder evangelisch. »Besser als nichts«, findet die katholische Schwiegermutter. Zur Taufe hatten sie sich seinerzeit ein »Lexikon der Weltreligionen« gekauft. Man lernt ja nie aus. Zu Ostern kommen sie alle, das wird ein großes Fest. »Mach bloß nicht zu viel«, sagt die suocera . »Eine Kleinigkeit. Du weißt ja: Wir essen so gut wie nichts.« Aber natürlich weiß ich das, und ich halte mich daran. Seit Jahren gibt es so gut wie nichts zu Ostern, nur eine Kleinigkeit, weil sie ja alle nichts essen. In diesem Jahr wäre das: ein winziges, hauchdünnes Körbchen aus parmigiano mit Spargelsalat. Null Kalorien. Dann fettuccine mit Artischocken, Sahne lassen wir weg, ordentlich Öl bindet auch. Das Lamm zum Hauptgang könnte mal wieder nach dem Rezept aus den Abruzzen gebraten werden, mit Zitronen und Eiern. Eier müssen schließlich sein. Als Beilage gebackene Kartoffeln. Brauchen wir dann noch Spinat? Oder doch lieber die dünnen agretti ? Irgendwas Grünes an jeden Gang, Ostern ist das Frühlingsfest. »La Cucina Italiana«, die italienische Kochbibel seit 1929, bietet dieses Jahr Rezepte für zwei verschiedene Ostermenüs, eins in Grün, eins in Gelb. Und zum Nachtisch colomba classica . Ohne Pappkuchen kein hoher Feiertag. Obwohl – die Kinder essen lieber
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