Lesereise Kulinarium - Spanien
brauchte, sind die Morenos inzwischen ein paar Häuser weiter gezogen – und haben die neue Küche im ehemaligen Schlaf- und dem alten Wohnzimmer der Familie eingerichtet. Gegessen wird, wo früher Veranda und Terrasse waren und heute eine Balkendecke die Tische überspannt: Der Speiseraum ist groß, das Ambiente irgendwo auf halbem Weg zwischen »fein« und »rustikal« – ein heller Innenhof, ein paar Pflanzen, eine große Truhe am Eingang, die Wandfarbe erdig mit einem Schuss Apricot. Die Tische sind großzügig gestellt, und vornehme Stille gibt es nicht. Tischgespräche, Lachen – all das gehört zum Leben und ist hier ausdrücklich erwünscht.
Patron Octavio hat als Kofferträger in einem Hotel in Malaga begonnen. Vor über fünfundzwanzig Jahren ist er an die Costa Blanca gekommen, hat erst eine Bar aufgemacht, dann sein Restaurant eröffnet. »Denia war damals noch ein Dorf«, erinnert er sich, »und mein Laden lag weit außerhalb an der Küstenstraße.« Heute reicht die Bebauung nahezu lückenlos bis zur Altstadt mit ihrer Platanenallee Calle Campos und den vielen Straßencafés. Apartmentblöcke sind entstanden, wo Sumpf war, Villen dort, wo Orangenhaine waren, Supermärkte und Fast-Food-Läden auf dem Brachland von einst.
Lange stand die Costa Blanca mit den Apartment-Hochhäusern von Benidorm und den endlosen immer gleichen Häuserreihen von Torrevieja als Sinnbild für die Sünden des Massentourismus – nicht für kulinarische Höhepunkte, schon gar nicht für Luxusurlaub. Doch die Lage hat sich geändert: Gerade die nördliche Costa Blanca zwischen Oliva und Denia, zwischen Javea, Calpe und Altea schickt sich mit ihren Villen, ihren Jachthäfen, ihren Stränden und mit ihren ambitionierten Küchenchefs an, so etwas wie eine zweite, eine spanische Côte d’Azur zu werden. Wo Berge die Küstenlinie nicht unterbrechen, die Uferstraße von der Natur nicht dazu gezwungen wird, einen Bogen zu machen, dort gehen die Orte inzwischen fast nahtlos ineinander über – auch das ist wie in Südfrankreich, eine unabwendbare Folge von Beliebtheit, Zuzug, Bauboom.
Hotelurlaub hat sich in dieser Region dennoch nie richtig etabliert. Die meisten Feriengäste sind Selbstversorger, haben sich Apartments am Meer, Häuser an den Hängen der Küstenberge oder mitten in den Orangenplantagen gemietet. Sie sind nicht auf mitgebuchte Halbpension irgendeines Hotels festgelegt und gehen entsprechend häufig essen. Die Restaurantszene ist deshalb so vielfältig wie kaum irgendwo anders an Spaniens Küsten. Und mit der neuen Generation jüngerer Küchenchefs kommt immer mehr Pfiff ins Spiel, mit Quique Dacosta zum Beispiel, mit José Miguel Ruiz – und mit Ignacio Arrojo.
Sie servieren vor allem, was die terrassierten Hänge und Obstplantagen der Region hergeben, bringen die Costa Blanca auf den Tisch: neue Spitzenweine aus Alfaz del Pi, Reis aus Pego, Orangen aus der Gegend von Altea, Kirschen aus Alpatró im Vall de Gallinera, Fasan aus dem Vall de Ebo, Tomatenmarmelade aus Confrides. Und natürlich, was die Gewässer zu bieten haben – gambas aus der Bucht von Denia, calamares aus der Gegend vorm Cabo de San Antonio, Petersfisch vom Cabo de la Nao.
Nachos erster Blick dieses Morgens in der Markthalle von Denia gilt seinem Sohn, der im Kinderwagen mitfährt, der zweite der Kiste Avocados aus Benicarlo, die er vorbestellt hat: »Die von dort sind die besten.« Einen Einkaufszettel braucht er nicht: »Ich nehme, was mir gerade besonders gut gefällt und wozu mir eine Idee in den Sinn kommt.«
Auf den Schlachter muss er diesen Morgen ein paar Minuten warten: José Luis Pérez hockt noch beim zweiten Frühstück in der Bar der Markthalle, kaut sein bocadillo , sein belegtes Brot mit Schinken, und schiebt erst ein paar Minuten später die Gardine aus Würsten an Haken über seinem Tresen zur Seite: Nacho begutachtet die Steaks, kauft diesen Morgen vier Kilo der besten. Der Stand gegenüber wirbt auf Deutsch mit »Thüringer Knusperschinken« – und nötigt dem spanischen Koch nicht einmal eine Sekunde des Innehaltens ab. Die Zielgruppe ist eine andere.
Tausende Deutsche, Österreicher und Schweizer, vor allem Pensionäre, sind in den letzten Jahren an die Costa Blanca umgesiedelt, Zehntausende mehr unterhalten einen Zweitwohnsitz in der Gegend, wollen vom milden Mittelmeerklima profitieren und möglichst häufig mitfeiern bei Hunderten fiestas in den Küstendörfern rund ums Jahr. Manch ein Händler ist ihnen
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