Lesereise Kulinarium - Spanien
soll: »Koch natürlich, ein möglichst guter« – um irgendwann einmal das Restaurant an der Carretera de Las Marinas fortzuführen. Und um den Gästen weiter den Geschmack der Costa Blanca auf der Zunge zergehen zu lassen, wenn Vater Nacho und Opa Octavio sich zur Ruhe setzen sollten. Irgendwann, in zwanzig oder dreißig Jahren.
Helge Sobik
Edelsteine aus dem Schweineparadies
Die Wissenschaft vom Eichelschinken
Das Schweineleben war wie üblich kurz, aber die anderthalb Jahre müssen wunderbar gewesen sein. Würde das Hinterbein mit der Nummer 165.656 aus Guijuelo sonst zu sanfter Musik an dieser Kordel baumeln, die schwarze Klaue nach oben, unter Designerleuchten? Natürlich nicht, so einen Ehrenplatz kriegen nur Teile, deren Ganzes nachweislich mehrere Monate in einem Garten Eden verbracht und dort haufenweise seine Lieblingsfrüchte in sich hineingefuttert hat. Sie tragen den Adelstitel Jamón Ibérico de Bellota , iberischer Eichelschinken, und dürfen sich Hoffnungen machen, von einem wichtigen Politiker oder einer berühmten Schauspielerin aufgegessen zu werden. José Ignacio González berührt das Fleisch wie einen Edelstein. »Das ist der beste Schinken der Welt«, sagt er. Und der teuerste.
Deshalb muss man auch erst auf eine Klingel drücken, ehe sich die Tür der Firma Góndiaz im Westen Madrids öffnet. Immerhin warten hinter dem Eingang ein paar Hundert Stück dieser Prachtexemplare – nicht auszudenken, wenn eines Nachts die Panzerknacker anrückten. Nummer 165.656 zum Beispiel kostet annähernd fünfzig Euro pro Kilo, zu diesem Sonderpreis aber nur vollständig zu erwerben, das macht bei acht Kilo etwa vierhundert Euro. Fein geschnitten liegen die Tarife doppelt, in guten Restaurants fast viermal so hoch. Da wird einem Parmaschinken vergleichsweise hinterhergeworfen. Deshalb trägt Verkaufsdirektor González zum weißen Kittel eine Krawatte und viele seiner Kunden holen die Kreditkarten aus Nadelstreifenanzügen und Pelzmänteln. Hier geht es zu wie beim Juwelier und nicht wie beim Metzger, vor allem zur Weihnachtszeit, wenn der Geldbeutel locker sitzt.
Auch die Lage in der Nähe des Königspalasts ist angemessen. Bei der Spezialität des Hauses handelt es sich ja um die majestätische Minderheit der Keulen, die in Spanien hinter den Theken hängen wie im Schlaraffenland, alles in allem dreißig Millionen Schinken für vierzig Millionen Menschen. Die »Leckerbissen der Seligen«, schrieb Literatur-Nobelpreisträger Camilo José Cela. Schon der römische Kaiser Diokletian soll begeistert gewesen sein, heutzutage lässt sich seine Hoheit Juan Carlos I. gerne mal einen Ibérico Bellota kommen und González berichtet streng vertraulich von einer Bestellung aus der Brüsseler EU -Zentrale, wo Eichelschinken so gut ankommt wie Austern und Gänseleber. Luciano Pavarotti und Elizabeth II. gelten ebenfalls als Kenner, Cineasten erinnern sich an die Komödie »Jamón, Jamón«, in der sich der junge Javier Bardem mit Schinkenkeulen um Penélope Cruz prügelte. Das nahm ein schlimmes Ende, führte später aber beide nach Hollywood.
Dahinter steckt natürlich eine Wissenschaft, die Schinkenwissenschaft. Für Anfänger sei mit einer grundsätzlichen Unterscheidung begonnen: Es gibt in Spanien zum einen den Jamón Serrano , luftgetrockneten Bergschinken, der vom weißen Schwein stammt und die große Mehrheit stellt. Und es gibt den Jamón Ibérico vom iberischen Schwein, »dem Aristokraten unter den Schweinen in aller Welt«, wie die Interessengemeinschaft Real Ibérico in ihrem Prospekt erläutert. Die Elite hat in der Regel schwarze Hufe, patas negras , lange, schlanke und starke Beine, dunkle Borsten und einen eher spitzen Rüssel – kein Vergleich mit dem blassen Hausschwein. Sie werden nach Herkunft und Jahrgang beurteilt wie Spitzenweine. Nummer 165.656 zum Beispiel ist ein exzellenter neunundneunziger aus der Gegend um Salamanca (Guijuelo!), die wie Extremadura und das westliche Andalusien (Jabugo!) einen Ruf genießen wie die besten Tropfen aus Rioja, Ribera del Duero oder dem Penedés.
Das wiederum liegt an den Eichenwäldern, deren weltweiter Bestand zur Hälfte hinter den Pyrenäen übrig geblieben ist. Auf 2,3 Millionen Hektar finden die Blaublüter während einer dreimonatigen Luftkur von November bis Januar täglich sechs bis zehn Kilo Eicheln pro Nase, um sich dem Schlachtgewicht von hundertfünfzig bis hundertachtzig Kilo entgegenzufressen. Glycide und Öle verleihen dem Muskel die
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