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Lesereise Kulinarium - Spanien

Lesereise Kulinarium - Spanien

Titel: Lesereise Kulinarium - Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothea Loecker , Alexander Potyka
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nachgezogen, bietet das, was vermeintlich keiner missen mag. Einer setzt dabei auf ostdeutsche Wurstwaren, der nächste auf den Slogan »Ihr Costa-Blanca-Bäcker« oder meint, mit »Käse aus der Heimat« sein Publikum zu finden. Sie alle haben ihre jeweilige Nische besetzt und leben recht auskömmlich davon, die geschmacklichen Vorlieben der Landsleute aus dem zwei, drei Flugstunden entfernten Norden auch in der Fremde zu bedienen.
    Für den Einkauf von allem, was aus dem Meer kommt, ist unterdessen Patron Octavio persönlich zuständig. In der Fischauktionshalle ist der Mann mit den silbergrauen Haaren und der Lücke neben dem rechten Schneidezahn Legende. Octavio ist Denias bester Hummer-Zocker. Er bekommt jeden, den er will – und er will immer den größten, auf den auch alle anderen Küchenchefs scharf sind. Fünfundfünfzig Euro zahlt er diesen Nachmittag für einen Zwei-Kilo-Hummer, den er für über hundert Euro weiterverkaufen kann, knapp fünfundneunzig Euro für eine Kiste gambas , die als Carpaccio enden werden.
    Gesteigert wird abwärts per nummerierter und zuvor registrierter persönlicher Fernbedienung. Begonnen wird dabei mit dem Höchstpreis auf einer rückwärts laufenden Anzeigetafel: hundertzwanzig, hundertneunzehn, hundertachtzehn Euro die Kiste. Ein Klick, und sie ist weg. Eine Zuckung zu spät, und die Küche bleibt kalt – eine zu früh, und die Sache rechnet sich nicht: so etwas wie Meeresfrüchte-Ebay mit Geruch. Über diese Fernbedienung bieten die Händler und Küchenchefs per Tastendruck, wenn der Fang ihrer Wahl aufgerufen wird, lassen sich von Urlaubern dabei von einer Tribüne aus über die Schultern schauen. »Du greifst nur zu, wenn der Preis für dich okay ist – und dann sofort. Dabei ist es nicht so wichtig, dass du zu Auktionsbeginn nachmittags um Punkt fünf Uhr da bist«, sagt Octavio. »Aber es ist außerordentlich bedeutsam, den Fischer gut zu kennen.«
    Er kennt sie alle und inspiziert vorab hinter den Kulissen den Fang von Jaime Llorca Zaragoza, der seit über sechzig Jahren zur See fährt – und immer weiß, wo er gerade die besten gambas in der Bahia de Denia finden kann. Diese »Gambas de Denia« sind eine Delikatesse, weil ihr Lebensraum, der achthundert Meter tiefe Seegraben in der Bucht, besonders nährstoffreich ist. Wegen dieser Krustentiere kommen sogar die Fischhändler aus Valencia zur täglichen Auktion in die hundertsechs Kilometer südlich gelegene Küstenstadt. »Gambas de Denia« hat sich als Gattungsbezeichnung für höchste Qualität etabliert – wobei längst nicht alles, was anderswo unter diesem wertsteigernden Namen verkauft wird, wirklich von hier stammt. Sicher sein kann nur, wer selber direkt auf der Auktion in Denia zugreift.
    Die gambas dort sind in vier Kategorien vorsortiert und werden kistenweise versteigert. »Ich kaufe nie die größten oder die kleinsten – die mittleren sind am aromatischsten«, erklärt Octavio. »Du brauchst die besten, um damit zaubern zu können. Sonst gelingen dir die Kunststücke nicht, sonst bekommt dein Carpaccio nicht diesen Geschmack, diese Farbe, diese Konsistenz. Wenn du zaubern willst, musst du dich auskennen. Keiner kann das aus dem Stand. Jeder muss Erfahrung sammeln, aus Erfahrung klug werden, Ideen entwickeln. Und der Erfolg des schönsten Rezepts hängt maßgeblich davon ab, was du hier in der Fischhalle findest – und für welche Kiste gambas du dich am Ende entscheidest.«
    Octavio tastet, drückt, schnuppert hinter den Kulissen, ehe die Ware aufgerufen wird und er sich entschließt, mitzusteigern. Haben die Tiere noch ihre langen Fühler, sind sie an Bord des Kutters nicht tiefgefroren worden: ein Vorteil. Fehlen die flexiblen Fühler, müssen sie in steif gefrorenem Zustand abgebrochen sein. Und sind die Köpfe der gambas weißlich-violett, dann sind die Tiere erst kurze Zeit aus dem Wasser: noch ein Vorteil.
    Tintenfisch dagegen ersteht Octavio heute nicht. Er spült sich die Hände ab, nachdem er ein paar Oktopoden zwischen den Fingern hat hindurchgleiten lassen, verzieht die Mundwinkel: »Ich wollte kaufen. Aber die Qualität stimmte nicht. Dann sagst du deinem Gast lieber ›Habe ich heute leider nicht‹, als dass du ihm etwas servierst, womit er nicht glücklich wird – und du auch nicht.«
    Nur im Januar und Februar machen viele Restaurants zwei, drei, nur ganz wenige sogar vier Wochen Betriebsferien. Die Betreiberfamilien legen die Beine hoch, fliegen selber in Urlaub – oder tun das

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