Lesereise Kulinarium - Spanien
bespritzt. In modernisierten bodegas kontrollieren Sensoren die Luftfeuchtigkeit und setzen eine Sprinkleranlage in Bewegung, deren feine Wasserschwaden sich von der Decke her über die Fässer legen. Daher kommt der modrige Geruch, und die ursprünglich weiß gekalkten Wände der bodegas und die Fässer aus dem hellen Holz der amerikanischen Eiche sind deswegen immer schwarz angelaufen.
Hier nun lagern die Sherrys, die korrekt Fino, Amontillado, Oloroso und Pedro Ximénez heißen. Da jeder dieser Weine andere Bedingungen für sein Heranwachsen benötigt, lagern sie in verschiedenen Gebäuden. Aber alle reifen in übereinandergestapelten Fässern, die dem Criadera -solera -System seinen Namen geben. Solera leitet sich vom spanischen Wort suelo für Boden ab. Auf dem Boden liegen lange Reihen von Fässern, in denen der älteste Wein eines Typs lagert. Aus diesen Fässern – der solera – werden die Weine auf Flaschen gezogen. Aus der solera wird jedoch höchstens ein Drittel entnommen und die entstandene Lücke mit dem Wein des darüberliegenden Fasses aufgefüllt, das wiederum aus dem über ihm lagernden Fass aufgefrischt wird. Dieses oberste Fass wird mit dem frischen Jahrgangswein aus der sogenannten añada – vom spanischen Wort año für Jahr – aufgefüllt. Die über der solera liegenden Fässer bilden die erste, zweite und dritte criadera , in der die Weine reifen und die dem System seinen Namen geben.
Auf diese Weise verschmelzen die Kellermeister die Weine verschiedener Jahre miteinander und erzeugen einen gleichbleibenden Geschmack. Denn der Wein aus der ersten criadera wird in der solera die Eigenschaften und das Aroma des Weins in der solera annehmen, hingegen die zweite criadera in der ersten aufgehen wird und so weiter. Ein Sherry hat daher niemals einen Jahrgang, sondern sein Alter und seine Reife lassen sich nur mit dem Jahrgang der solera zeitlich bezeichnen, wenngleich auch nur sehr ungenau. Wenn jedoch eine solera im Jahr 1842 angelegt wurde, haben aus ihr heutzutage entnommene Sherrys noch Spuren des Weines in sich, der Mitte des 19. Jahrhunderts erzeugt wurde.
Nur durch dieses sanfte Mischen der Weine kann außerdem die flor , die Hefeschicht, in den Finos überleben und die Weine vor dem Oxidieren schützen. Denn die Hefepilze verbrauchen im Lauf der Jahre die für sie wichtigen Nährstoffe im Wein und sterben natürlicherweise ab, wenn die Nahrung aufgebraucht ist. Da den soleras der Finos und Manzanillas aber in regelmäßigen Abständen neuer, nährstoffreicher Wein zugeführt wird, überlebt die flor auch in jahrealten soleras . Sie gibt dem Sherry nicht nur sein blassgelbes bis sandfarbenes Aussehen, sondern fördert diesen unnachahmlich trockenen, erfrischend-fruchtigen und leicht an Mandeln erinnernden Geschmack des Weines erst zutage. Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, war bei einem Besuch in Jerez so begeistert von der flor und ihren Auswirkungen, dass er meinte: »Wenn Penicillin Krankheiten kuriert, kann Sherry Tote erwecken.«
Von einem Fass zum nächsten geleitet werden die Weine heutzutage mit Schläuchen und Pumpen. In früheren Zeiten haben die Kellermeister den Wein mit mehrere Liter fassenden Metallkübeln hin- und hergetragen und umgefüllt. Kleinere bodegas mit einer geringen Produktion leisten sich diese Handarbeit auch heute noch. In den großen, industriell arbeitenden Weinkellereien sind die Fässer gar ständig an ein Leitungssystem angeschlossen, das auf Knopfdruck die Weine von einer criadera in die nächste leitet. Dank der Technik haben diese mehrere Millionen Liter im Jahr erzeugenden bodegas auch das klassische Prinzip der übereinanderliegenden Fässer aufgehoben. Die unterschiedlichen criaderas und ihre solera liegen heutzutage in verschiedenen Gebäudeteilen.
Das Leben eines Sherry gleicht dem eines Schülers, der seinem Lehrer immer wieder beweisen muss, was in ihm steckt. Denn von der añada über die criadera bis zur solera werden die Weine immer wieder verkostet und ihrer Entwicklung gemäß klassifiziert. Der Kellermeister prüft, beurteilt und ordnet die Weine in eine der vielen verschiedenen Klassen der Sherry-Familie ein. In den großen bodegas mit mehreren Zehntausend Fässern prüft er rund zweihundert Fässer täglich. Den ganzen Tag ist der capataz (Kellermeister) damit beschäftigt, eine venencia – einen zierlichen Stab, an dessen Ende ein schmaler Becher hängt – in ein Fass einzutauchen, hochzuziehen, den Inhalt in
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