Lesereise Kulinarium - Spanien
Gegenteil und renovieren für die bevorstehende Saison. Wer sein Lokal rund ums Jahr geöffnet hält, reduziert zumindest das Personal, schickt die osteuropäischen Küchenhelferinnen und die Kellner aus Argentinien oder Chile für ein paar Wochen nach Hause.
Die Morenos rund um Familienoberhaupt Octavio haben diese Zeit diesmal genutzt, um anzubauen: Heller ist der Laden jetzt, stylisher, auf der Höhe der Zeit. Und natürlich größer. Schon wieder! Und all das, obwohl nur rund um Ostern, während der Hochsaison-Monate Juli und August und an Weihnachten alle Tische besetzt sein werden. Aber die Investition rechnet sich offenbar.
Die Speisekarte, egal zu welcher Jahreszeit, dient im »Octavio’s« unterdessen nur als Ideensammlung. Nicht immer ist alles da, und manchmal gibt es etwas völlig anderes: Fasan und Hase aus dem Hinterland zum Beispiel, dazu Pilze aus Leon – was immer der Einkauf des Tages an Besonderem hergegeben hat: »Ich frage die Gäste am Tisch, worauf sie Lust haben, spreche mit Nacho, und wir schlagen ihnen dann etwas vor«, plaudert der Chef.
Die Küche überlässt der Patron inzwischen fast ausschließlich seinem Schwiegersohn: »Mir macht das Gespräch mit den Gästen am Tisch am meisten Freude.« Kein Wunder, denn nur dort gibt es den Applaus für das, was hinter den Schwingtüren am Herd entsteht.
Jordi und Elvira Aracil sind den umgekehrten Weg gegangen. Die beiden hatten ein Restaurant im Hinterland der Costa Blanca bei Confrides und haben es dicht gemacht – weil Jordi nicht mehr bis Mitternacht am Herd stehen wollte und nebenbei seine wahre Leidenschaft entdeckt hat: Marmelade kochen. Wo früher Tische standen, sind jetzt Marmeladenregale. Wo früher der Tresen war, ist jetzt die Kasse. Jordi hat sein Restaurant in eine Ein-Mann-Costa-Blanca-»Konfitürenmanufaktur« mit angeschlossenem Direktverkauf-Shop verwandelt und verarbeitet ausschließlich Früchte der Region. Binnen kürzester Zeit ist er berühmt geworden für seine Tomatenmarmelade, die mehr ein Käseaufstrich als ein Brotbelag ist: »Weil diese Geschmäcker sich gegenseitig steigern«, sagt er. »Bei Marmelade kannst du nichts falsch machen. Du nimmst so viel Zucker wie Früchte, schüttest alles zusammen und lässt es kochen – die Tomaten acht Stunden lang. Alles absolut simpel.« Er lacht.
Tatsächlich ist Jordi bescheiden und der Job Kunst, denn er kombiniert, was eigentlich nicht zusammenpasst und formt daraus köstliche neue Geschmacksrichtungen: Himbeeren mit Vinaigrette, Zitronen mit Zuckerrohr, Tomaten mit Nelken, Ananas mit Kräuterlikör. Inzwischen beliefert er bereits erste Restaurants an der Küste, während Sohn Ximo sich über den Erfolg seines Papas wundert und die Finger lieber nicht ins Glas steckt. Der Sprössling mag keine Marmelade.
Jordi unterdessen hat Freunde zusammengetrommelt und die Palette seines Costa-Blanca-Selfmade-Shops erweitert: um selbst gemachten Likör seines Kumpels José Ramon »Rufo« Ferre Silvestre und um die nicht essbaren Kreationen von Carolina Robla, die aus heimischem Olivenöl und Duftstoffen, die ansonsten in der Parfumproduktion verwendet werden, Seife und Cremes herstellt. Gerade erst hat die Lokalzeitung das erste Mal über das Duft-und-Geschmäcker-Team aus Confrides berichtet. Der Ausschnitt hängt gerahmt an der Wand.
Octavio kann einen Großteil seiner Trophäen nicht rahmen: Er tritt jeden Mittag im Lokalradio Copa auf und spricht live über Telefon seinen täglichen Rezepttipp. »Hörer rufen seitdem häufig hier an und suchen Rat, wenn sie gerade die Soße für ihren Festbraten anrühren und noch eine Extraidee brauchen«, freut er sich – und eine gute Werbung für das eigene Restaurant gerade unter den Einheimischen ist der tägliche Tipp auf UKW nebenbei auch. Bei den meisten Fragen reicht er den Hörer inzwischen an Nacho weiter. Der antwortet ebenso eilig wie freundlich, während er in der Küche zwischen gekühlter Knoblauchsuppe mit Rotweinsorbet, paella mit Safranreis, Petersfisch und gebratenen gambas roja hin- und herspringt.
Bei allem Erfolg sind sich Octavio und Nacho einig: »Auch wenn das Restaurant dein Leben ist, brauchst du ein bisschen Zeit für dich« – findet Octavio, geht mit seiner Frau jeden Vormittag zehn Kilometer am Strand spazieren und an drei Nachmittagen pro Woche zum Salsa-Tanzkurs. Nacho nutzt die freien Minuten, um mit seinem kleinen Sohn zu spielen. Opa Octavio hat schon entschieden, was aus dem Enkel einmal werden
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