Lesereise Malediven
Befestigt werden Korallen, die – versehentlich oder in Folge von Stürmen – aus bestehenden Riffen gebrochen wurden, sowie Fragmente von solchen, die bereits auf den Gestellen wachsen. Auch werden keine Fische hergelockt, die dann an den natürlichen Riffen fehlen. »Die Ersten müssen natürlich hierher finden. Aber das Entscheidende ist, dass sie sich am künstlichen Riff ansiedeln und fortpflanzen«, erklärt Le Berre. Die Fische gelangen als junge Tiere mit der Strömung in die Lagune und wachsen in den Korallen heran. Ihnen folgen größere Artgenossen und Raubfische. Handelte es sich bei der bunten Fauna rund um die Rahmen ausschließlich um angelockte Fische, würde durch das künstliche Riff das echte geleert – und somit ein Eigentor erzielt. Die Bestände an den natürlichen Riffen erscheinen jedoch unverändert.
Mit der Herstellung der sechseckigen Gestelle aus Stahl, auf die Sand geklebt wird, verdienen Malediver von der Zweihundertfünfzig-Einwohner-Insel Fulhadhoo im Baa-Atoll ihr Geld. »Die gehen schon nicht mehr fischen«, erklärt Le Berre mit grimmiger Zufriedenheit. Die Fischerei für den Export ist ihm ein Dorn im Auge. »Die Menschen angeln hier nicht mehr für den eigenen Bedarf, sondern für den Markt in Hongkong. Und für Aquarien in Europa.« Weshalb er auf Landaa Giraavaru mittlerweile ein Projekt zur Zucht von Clownfischen initiiert hat. Obwohl es Thomas lieber wäre, europäische und amerikanische Eltern würden ihren Kindern einfach keine Nemos schenken. Er rauft sich die Haare und schüttelt den Kopf. Dies ist eine weitere Baustelle. »Es gibt einen riesigen Markt für Zierfische«, sagt er. Wer auf den Malediven einen Clownfisch fängt, bekommt zwei US -Dollar dafür. In Europa wechseln die Tiere dann für zwanzig Euro den Besitzer.
Am Anfang der Riffgärtnerei auf Landaa Giraavaru stand ein Hotelneubau – der größte annehmbare Unfall für die Riffe. Um eine bislang unbewohnte Insel Booten zugänglich zu machen, wird das Riff in aller Regel aufgebrochen. Um so wichtiger ist es, der Natur nach einer solchen Attacke wieder ein wenig auf die Beine zu helfen. Zumal die Liste der negativen Auswirkungen der Bauarbeiten noch länger ist: Zusätzliche Abbrucharbeiten am Riff sind erforderlich, um die Lagune für die Bauarbeiten, aber auch für die künftigen Gäste zu erschließen. Zu den weiteren Störfaktoren zählen aufgewühlter Sand, der das Wasser eintrübt und Sonnenlicht aussperrt, sowie Bauschutt und Lärm.
Das Verfahren der Korallenrahmen hatte er bereits im Schwesterresort des Neubaus erprobt. Thomas Le Berre zerbrach sich schon vor dem Jahr 2000, als er in Mal é seine Umweltberatungsfirma Seamarc gründete, den Kopf darüber, wie man künstliche Riffe schaffen könnte – ein Ansinnen, das zu diesem Zeitpunkt als wenig erfolgversprechend galt. Mit einem Umweg über Australien war der Bretone auf die Malediven gekommen. Er studierte an der James Cook University in Townsville, als er sich in eine Kommilitonin von den Inseln verliebte. Die angehende Meeresbiologin wurde seine Frau. Das Paar zog auf die Malediven, und Thomas, der sich vorrangig mit Küstenerosion beschäftigt hatte, konzentrierte sich zunehmend auf Korallen. Wirklich trennen ließen sich die beiden Gebiete ohnehin nicht: Der Sand, den die Inseln ans Meer verlieren, stammt von Korallen, die Korallenriffe schützen als natürliche Wellenbrecher wiederum die Inseln – und den Sand – vor den Wellen. Zudem war das Thema damals von bedrückender Aktualität: El Niño hatte gerade sein Unwesen getrieben, die Korallenbestände schienen nicht nur gefährdet, sondern verloren.
Zweieinhalb Jahre verbrachte Le Berre zunächst damit, Korallen auf Betonkugeln mit Löchern zu transplantieren und die Ergebnisse zu beobachten. Das Resultat war ernüchternd: »Es funktionierte einfach nicht«, erklärt er. »Die Kugeln waren unglaublich schwer, was die Logistik extrem kompliziert machte.« Schlimmer noch: »Die Korallen wuchsen kaum.« Aus der Langzeitbeobachtung seines scheiternden Projekts entwickelte er das Konzept der stabilen, aber vergleichsweise leichten Stahlrahmen, auf die Korallensand geklebt wird. »Klar war, wir suchten etwas Leichteres. Am besten eine sehr schmale Struktur, sodass Stecknadelkopf-Seeigel, die gerne junge Korallen fressen, nicht daran hochklettern. Und damit die Korallen wachsen würden, brauchten wir mehr Wasserbewegung.« Leicht herzustellen und zu transportieren sind die Rahmen
Weitere Kostenlose Bücher