Lesereise Nordfriesische Inseln
ihrem Salzgehalt und der Häufigkeit ihrer Überflutung in drei Zonen eingeteilt: ausgehend vom Watt mit der Quellerwiese. Sie überflutet fast täglich zweimal. Nur halb so oft wird die sich anschließende untere Salzwiese vom Nordseewasser heimgesucht. Strandastern, friesisch: Buanstooker , fühlen sich in den schlickigen Gräben und Senken wohl, zumal am Watt von Nebel, wo sie unbeweidet sind. Haben doch Rinder und Schafe Strandastern zum Fressen gern. Die beweidete obere Salzwiese wird im Verhältnis selten überflutet, jährlich höchstens zehnmal. Ihr demzufolge niedrigerer Salzzufluss zieht Rotschwingel an, jene Salzwiesenpflanze, die sich weniger gut als ihre Kollegen gegen Natriumchlorid wehren kann. Die mit Abstand extremsten Umweltverhältnisse herrschen an der Schwelle vom Watt, wo sich der Queller, friesisch: Roelken , niedergelassen hat. Er ist dem meisten Salz ausgesetzt. Um dieses zu verdünnen, heißt es: trinken, trinken, trinken. Dadurch jedoch wird laufend neues Salz geschluckt, was die neongrüne Pionierpflanze aufquellen lässt, bis sie im Herbst feuerrot und hart wird und wie eine Salzstange bricht.
Um 1900, als Freilichtmaler die deutschen Küsten entdeckten und sich mit Pinsel und Staffelei an verlassene Strände, Kliffs und in die Marschen setzten, war auch Paula Modersohn-Becker an die Nordsee gereist, nach Amrum, nach Steenodde. Das kleinste Inseldorf liegt von den Salzwiesen nicht allzu weit entfernt. Steenodde bedeutet »Steinspitze« wegen der vor- und frühgeschichtlichen Funde an dieser Stelle zwischen Geest und Wattenmeer. Am Steenodder Kliff erinnert das Geröll an eiszeitliche Gletscher. Austernfischer, Pfuhlschnepfen und Sandregenpfeifer hüpfen geschäftig zwischen Steinen umher. Der Steinwälzer dreht selbige mit seinem Schnabel um, in der Hoffnung, schmackhafte Beute zu erpicken.
Paula Modersohn-Becker hielt ihre Amrumer Impressionen auf Skizzen fest, schrieb an ihre Familie in Worpswede in einem Brief: »Wattenmeer – Völlig leer … Am Horizont die drei Kirchtürme auf Föhr … Sonnenbrand. Aus dem unendlichen Raum – aus Höhen und Tiefen – dringen Vogelstimmen hervor: Tiüi – tiüi – tiüi – Wau – wau – wau – Kähtsch – kak – ka – kak – Piep – pipih – pipih – pipih – Tuelü – lüh – lüh …«
Haben Sie eine Ahnung, welche Vogelstimmen das waren?
In Seenot!
Schweinswale vor Amrum und Sylt
Bei glatter, ruhiger See und ablandigem Wind hat man oft Glück. Vor Hörnum auf Sylt zeigen sich da ihre dreieckigen Rückenfinnen in regelmäßigem Rhythmus an der Wasseroberfläche – und schon sind sie wieder weg. Gelegentlich kommt es auch vor, dass Schweinswale ins sommerliche Badegetümmel geraten. »Ein Hai!«, kreischt es dann alarmierend an den Strand. Unser einziger heimischer Wal, auch Braunfisch oder Kleiner Tümmler genannt, ist Urlaubern nur selten bekannt. Schon gar nicht geheuer. Letzteres dürfte umgekehrt ähnlich sein. Indes aus völlig anderem Grund:
Die Zeiten der »Schweinswaljagd« in den nordfriesischen Gefilden sind finstere Vergangenheit, kein Walspeck wird mehr ausgekocht, Tran nicht mehr als Lampenöl benutzt. Bis zum Beginn der grün-alternativen Achtziger waren die Schweinswale aus der Nordsee verschwunden. Seither sind sie wieder da.
Alljährlich sterben über siebentausendfünfhundert Schweinswale in den Stellnetzen vor allem der dänischen Kabeljau- und Steinbuttfischerei. Die anderthalb Meter langen Tiere, die sechzig bis achtzig Kilogramm auf die Waage bringen, identifizieren die dünnen Fäden der Nylonnetze nicht, verheddern sich darin, ersticken oder verletzen sich.
Ein Steckbrief:
Schweinswale haben eine glatte Haut, schwimmen zwanzig Kilometer pro Stunde, tauchen bis zu achtzig Meter tief, Verweildauer: sechs Minuten. Im Unterschied zum Delfin, mit dem er häufig verwechselt wird, ist der Schweinswal zurückhaltend und scheu, darum eignet er sich auch nicht für touristische Attraktionen wie »Whale Watching«. Das wäre ja wohl auch noch schöner!
Zwischen Mai und Juli bringen Schweinswalkühe ihre Kälber zur Welt – nach zehn, elf Monaten Tragzeit. Die Kleinen sind ungefähr fünf Kilogramm schwer und werden gestillt, bis sie sich nach einem guten halben Jahr selbst ernähren. Seezungen sind ihr Leib- und Magengericht, aber es schmecken ihnen auch Sandaale, Schollen, Heringe und Makrelen. Mindestens vier Pfund Flossenmahlzeit brauchen die Schweinswale täglich, andernfalls würden sie Fett
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