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Lesereise Nordfriesische Inseln

Lesereise Nordfriesische Inseln

Titel: Lesereise Nordfriesische Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine von Soden
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vorhanden, aber zum großen Teil beschädigt«, informierte er 1946 Mirl nach einem Kurzbesuch auf Sylt. »Was sonst noch vorhanden gewesen war, Matratzen, Betten, Wäsche, Geschirr etc. ist vollständig ausgeraubt.«
    Im Hochsommer 1948 reiste Ernst Penzoldt wieder an. Und wieder begrüßte ihn Marlützken mit offenen Armen. Zu Gast war auch Kurt Lothar Tank vom Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt . Das Trio passte prächtig zusammen. Alberte herum, lachte viel zusammen. Zum Beispiel über Penzoldts Abneigung gegen den Leuchtturm in Kampen, »diesen versteinerten Schutzmann!« Abends tischte Marlützken »halbmeterlange, mit Zwiebeln und Hagebutten gedünstete Makrelen« auf, notierte Zeitungsmann Tank in sein Tagebuch. Zum Nachtisch gab es selbst gepflückte Heidelbeeren mit Schafskäse und Milch. Anschließend wurde über Inseleindrücke fabuliert, Penzoldt beim Vortragen neuer Manuskriptseiten zugehört oder über »Des Teufels General« diskutiert, Zuckmayers sensationellen Nachkriegserfolg, 1946 in Zürich uraufgeführt. Nachts leuchtete der Mond weise und erdenfern, stiegen mit der Windmusik der Heide Bilder jener Brocken gesprengter Bunker beiderseits der Betonstraße von Kampen nach List aus der Erinnerung. Und in den Halbschlaf drang noch einmal auch der Druck jener Minen auf dem Meer, oft weit draußen, zuweilen aber auch gefährlich in Küstennähe. Dann kehrte Stille ein. Bis zum Weckruf des Inselkuckucks.
    Für Besuch aus der Schweiz war das Suhrkamp-Haus im Sommer 1949 reserviert: Max Frisch reiste mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern an. »Endlich ein Arbeitszimmer, wie man es sich wünscht: groß und licht … zwei Fenster hinaus auf das Wattenmeer, viel Platz zum Gehen, Tische, wo man Papiere ausbreiten kann, Entwürfe, alte und neue, Briefe, Bücher, Muscheln und Seesterne, Ketten von trockenem Tang … und draußen flötet der Wind …« Er fühle sich »herrgöttlich wohl«, bedankte sich Max Frisch bei Peter Suhrkamp für das Quartier. Und am Strand habe ihn »der nackte Mensch besonders in der weiblichen Ausgabe entzückt«. Der Schriftsteller behielt gesittet seine Badehose an.
    Peter Suhrkamp ermunterte den Achtunddreißigjährigen zum Schreiben, stellte ihm Veröffentlichungen in seinem Verlag in Aussicht. Doch fehlte dem Schweizer an der Nordsee die rechte Motivation, er wollte »das Meer genießen, die Weite, die Brandung und den Himmel, den Wind, die Helle der Nächte, wenn um Mitternacht noch die Vögel zwitschern«. Ähnliches hatte Suhrkamp selbst empfohlen, wenn er seinen Autoren schon vorm Kofferpacken mit auf den Weg gab: »Lassen Sie sich fallen! Werden Sie nicht unruhig, verzweifeln Sie nicht, wenn Sie drei, vier Wochen lang keine Zeile schreiben können. Vielleicht geraten Sie in eine Krise. Die Krise kann hilfreich sein!«
    Sylt begann zu pulsieren. Mit Nachtleben in D-Mark, Skandalen, teuren Schlitten und Strandamouren. Die Gästezahlen auf der Insel stiegen von Saison zu Saison. »Buhne 16« wurde zum Nabel der Welt, inszeniert von Boleslaw Barlog. Auf seinem Weg zur Sturmhaube guckte der Generalintendant der Berliner Staatstheater gelegentlich auf einen Kaffee bei Peter Suhrkamp vorbei. Die Ehe mit Mirl verlor um diese Zeit ihren inneren Halt. Depressive Schübe, deren Ursache niemand erhellte, ergriffen von Mirl Besitz. Mit Alkohol versuchte sie, diese abzuwehren. Immer mehr indes geriet sie dabei außer sich. 1954 beschloss sie, wieder nach München zu ziehen. Neuer Eigentümer des Friesenhauses am Hoogenkamp wurde Medienzar Axel Springer. Mit dem Verkaufserlös brachte Peter Suhrkamp die deutsche Gesamtausgabe von Marcel Proust auf den Markt. Nie wieder besuchte er die Insel, über die er in seinem Essay geschrieben hatte: »Alle Sinne sind im Augenblick des Betretens der Insel von dieser vollauf in Anspruch genommen und ausgefüllt, und das Gemüt ist entweder verschüchtert oder betäubt oder beseligt.«
    1959 starb Peter Suhrkamp. Auf dem Friedhof zu St. Severin in Keitum nahe am Wattenmeer liegt sein Grab. Der Wunsch des Verlegers, man möge seine Asche westlich vor Sylt in die Nordsee streuen, ließ sich nicht verwirklichen – doch vielleicht helfe die Natur eines fernen Tages nach, sinnierte Suhrkamps Nachfolger Siegfried Unseld: »Mit der Zeit verweht der Dünenwind die Gräber, und allmählich geht die Erde dort in Watten über.«

Scholle, Matjes, Muscheln, Krabben
Die Sylter Meeresköche folgen ihrem Stern
    Mein Bruder isst keinen Fisch. Nicht, weil

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