Lesereise Nordseekueste
weiterfließen. Ansonsten ist Sassen auf die EU nicht sonderlich gut zu sprechen, wie viele andere Schafhalter auch. Wegen der ganzen Auflagen. Jetzt soll er auch noch einen Lehrgang besuchen, um nachzuweisen, dass er in der Lage ist, seine Tiere ordnungsgemäß zu transportieren. Obwohl er das schon seit ewigen Zeiten macht. Solche Bestimmungen tragen dazu bei, dass viele Schafhalter aufgeben, vor allem kleinere.
Im Herbst, wenn die Tage kürzer werden, treibt Sassen seine Herden über die Kuhwiesen in Richtung Heimat, nach Arle, einem Dorf ungefähr zehn Kilometer landeinwärts. Meist sind die Deiche im November so durchnässt, dass die Schafe spätestens dann runter müssen. Die Feuchtigkeit würde die Tiere sonst zu sehr auszehren. Weihnachten verbringen alle im heimischen Stall. Nach den Feiertagen »kommt eine Truppe aus Polen, dann scheren wir mehrere Tage hintereinander«. Lukrativ ist das nicht: »Der Wollpreis ist im Keller.« So um die dreihundert Schafe werden am Tag geschoren, mehr nicht, »das ist nur Stress für die Tiere und für uns«. Der kommt ohnehin, immer so um den 20. Januar. Dann beginnt die Lammzeit, dann arbeiten sie rund um die Uhr. Jede Nacht um drei muss Sassen dann raus, im Laufe des Tages kommt ein Mitarbeiter dazu, und abends gegen sechs oder sieben geht seine Frau in den Stall. Schichtdienst für die Geburtshelfer, unterbrochen nur von den Mahlzeiten. Aber man weiß ja wofür: »Wir produzieren ungefähr tausend Lämmer im Jahr.«
Wenn der Frühling naht, werden die Tiere im Stall unruhig. »Die riechen das Frühjahr.« Überhaupt haben Schafe eine Art siebten Sinn. Wenn zum Beispiel eine Sturmflut naht, und das war in den vergangenen Jahren recht oft der Fall, dann wechseln seine Schafe vorsichtshalber auf die Landseite des Deiches. Oder wenn der Lkw kommt, der die Tiere zum Schlachter bringen soll, »das ist immer ein ganz blöder Tag«. Selbst der Scheck, den er dann in den Händen hält, muntert ihn nicht richtig auf. Die Schafe spüren auch, wenn er den Hund dabei hat, sagt Sassen und nickt kurz in Richtung Transporter. Also doch mit Hund. Sogar zwei hat er dabei, einen Border Collie und einen Australian Shepherd. Der eine hört auf englische Kommandos, der andere auf deutsche, »sonst machen ja beide das Gleiche«. Würde er sie jetzt rauslassen, könnte er die Schafe nicht mehr in Ruhe studieren. Einen Hund braucht er eigentlich nur, wenn er zum Beispiel ein Schaf sieht, das krank oder verletzt ist und aus der Herde raus muss.
Es macht also ganz viel Sinn, wenn Sassen einfach nur dasteht und guckt. Und dafür sorgt, dass seine Schafe in Frieden grasen können. Dass die Tiere dabei mitunter etwas dösig wirken, nun ja, davon lässt man sich besser nicht beirren. »Man sollte Schafe wirklich nicht unterschätzen«, meint Sassen, »das sind keine dummen Tiere.« Der Deichschäfer wäre nicht mal beleidigt, wenn jemand zu ihm »Du Schaf!« sagen würde. »Weil ich ja weiß, was in meinen Tieren drinsteckt. Je länger ich mit Schafen zu tun habe, umso mehr Respekt habe ich vor ihnen.«
Wenn die Straße brennt …
Auf Boßeltour mit dem erfolgreichsten Friesensportler aller Zeiten
Ein Vorurteil gilt es auszuräumen, hier und heute, ein für alle Mal. Denn es soll ja immer noch Leute geben, die glauben, Boßeln wäre so etwas wie die kürzeste Strecke zwischen Korn und Kohlessen. Oder eine Art Kegeln im Freien. Diese Leute haben garantiert noch nie ein Meisterschaftsspiel der Männer in der oldenburgischen Landesliga, also der obersten Spielklasse, gesehen. Ein Spiel wie das von Schweinebrück gegen Westerscheps: das Dorf von der Friesischen Wehde, Serienmeister in den neunziger Jahren, gegen das Dorf aus dem Ammerland, in den Jahren danach fünf Mal in Folge Titelträger. Ein echtes Prestigeduell, zu dem sich die beiden Mannschaften an einem kalten Januarnachmittag an einer kleinen Landstraße bei Zetel treffen, die einen in rot-blauen Trainingsanzügen, die anderen in schwarzen.
Die Schweinebrücker haben Heimrecht. Und die Westerschepser »gemischte Gefühle«. Schweinebrück gilt als heimstark, »da brennt die Straße«, sagt einer der Gäste. Eine Straße, die die Schweinebrücker aus dem Effeff kennen, schmal und kurvenreich, drei Kilometer hin, drei Kilometer zurück. Wer für diese Strecke weniger Würfe benötigt, hat gewonnen. Und dann haben die Schweinebrücker ja auch noch Hans-Georg Bohlken in ihren Reihen. Bohlken ist der erfolgreichste Friesensportler aller
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