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Lesereise Nordseekueste

Lesereise Nordseekueste

Titel: Lesereise Nordseekueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Stelljes
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ausgelobt: fünftausend irische Pfund dem, der es schafft, eine achthundertzehn Gramm schwere Eisenkugel über ein Monstrum von Brücke zu werfen, sechs Meter breit und dreißig Meter hoch. Weit werfen konnte Hans-Georg Bohlken. Aber hoch? Das war für ihn eine ganz neue Herausforderung. Also bereitete er sich vor. Warf die Kugel über heimische Eichen und Hochspannungsmasten. Als ihm Letzteres vom Stromversorger untersagt wurde, sah man ihn häufiger unter dem Ausleger eines großen Baukrans. Dazu kam sein ganz normales Training, der Zehn-Kilometer-Lauf mit Bleiweste zum Beispiel, jeden Tag. Kurzum: Er war topfit an diesem 8. September 1985. Jeder Teilnehmer hatte vier Versuche. Der dritte Wurf von Bohlken landete bereits auf der Brücke. Doch das reichte den Veranstaltern nicht. Also haute er das Ding ein viertes Mal raus, mit Urgewalt und vielleicht auch ein bisschen Wut im Bauch – und zwölftausend Zuschauer wurden Zeugen eines Wurfes, der bis heute als der ruhmreichste in der Geschichte dieses Sports gilt. Und der aus Hans-Georg Bohlken eine lebende Legende machte.
    Doch jetzt, auf der Landstraße kurz vor Ruttelerfeld, nutzt ihm all das wenig. Es sieht nicht gut aus für Schweinebrück. Die Ammerländer haben bereits ein Schoet Vorsprung, das ist eine Wurflänge, und nun schickt sich der nächste Schepser an, diesen Vorsprung auszubauen. Markiert erst mit seiner Jacke am Straßenrand die Abwurfstelle, reinigt dann mit einem Handtuch die zwölf Zentimeter dicke Kugel, spuckt noch mal kurz drauf, »dann ist die griffiger«, und pfeffert sie, begleitet von einer Art Urschrei, die Straße entlang. Und weiß Sekunden später, weil seine Mannschaftskameraden gut hundertfünfzig Meter weiter die Fäuste in den blauen Himmel recken: Das ist das zweite Schoet . Auch von einer anderen Straße hallen Rufe von Boßlern herüber. Astede, Ruttel, Schweinebrück, Osterende, Bohlenberge – jedes Nest hat hier seine eigenen Mannschaften. So kommt es, dass auf einem abgelegenen Pfad auf der Friesischen Wehde an manchen Sonntagen im Winter mehr los ist als in der Fußgängerzone von Oldenburg oder Wilhelmshaven. Boßeln ist hier Alltagskultur, kein Touristenevent.
    Kurz vor dem Ziel keimt bei den Schweinebrückern noch einmal Hoffnung auf. Nur noch lächerliche einundfünfzig Meter liegen die Schepser vorne, ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bohlken feuert seine Mannschaftskameraden an. »Los Enno, werf’ ihn über die Bundesstraße, in die Haustür dahinten.« Doch ausgerechnet jetzt, wo sie das Spiel noch einmal drehen könnten, patzen die Schweinebrücker. Es kommt, wie es kommen muss: Westerscheps gewinnt. Null zu sieben lautet am Ende das Ergebnis nach einer schwer durchschaubaren Boßler -Arithmetik.
    Trost findet Bohlken im Vereinsheim. Da sitzen die Werfer beider Mannschaften nach dem Spiel noch zusammen, bei Bockwurst, Butterkuchen und Tee. An der Wand ein Foto, aufgenommen in den goldenen neunziger Jahren, vorne links: Hans-Georg Bohlken. Bis heute hängen sie hier an seinen Lippen, wenn er die Geschichte von Cork erzählt. Doch die Zahl der Fans wird kleiner. »Der Friese lernt zuerst das Laufen und dann das Boßeln«, das galt früher mal, sagt Bohlken. Der junge Friese sitzt am PC , surft durchs Internet und »kommt nicht mehr vor die Tür«. Rund vierzigtausend Boßler sind in den Landesverbänden Oldenburg und Ostfriesland organisiert. Noch. Richtig zufrieden sind an diesem Tag eigentlich nur die Schweinebrücker Damen. Deren Mannschaft hockt am Nebentisch. Auch heute hat sie wieder gewonnen und ihre Tabellenführung souverän verteidigt. Und so kommt am Ende der Saison wohl doch noch eine neue Ehrentafel in die Vereinsvitrine.

Auf den Spuren der Auswanderer
Das Tor zur Neuen Welt und die fast vergessene Schiffskatastrophe
    Johann Diedrich Schröder aus Westerburg, einem kleinen Dorf bei Oldenburg, war fünfzehn Jahre alt, als er sich auf den Weg nach Amerika machte – im Kopf den Traum von einem besseren Leben, im Gepäck die Freikarte für eine Schiffspassage, die ihm sein Bruder geschickt hatte. Im Frühjahr 1887 ging der Junge in Bremerhaven an Bord der »Donau«, zusammen mit siebenhundertfünfundneunzig anderen Passagieren. Sie wurden »eng zusammengepfercht auf dem Zwischendeck«, notierte er später in seinen Erinnerungen, »welch ein schreckliches Durcheinander war das!« Die turbulente Reise, die sich durch den Zusammenstoß mit einem anderen Schiff im Ärmelkanal um zwei Tage verzögerte, endete nach gut

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