Lesereise Nordseekueste
Restaurant und Café. Und am Ende lassen die Leute wieder ihren Müll liegen. Nein, die beiden machen erst mal keine Werbung für Harriersand. Und doch verstehen sie, dass Touristen kommen. Schließlich ist das hier »der einzige Strand weit und breit, der kein Geld kostet«, sagt Klaus Rüther. Rund neun Kilometer ist er lang – bei Ebbe. Und die Weser hat eine gute Wasserqualität und sechsundzwanzig Grad, jedenfalls in einem richtigen Sommer. »Eltern müssen schon aufpassen«, warnt Rüther. Das Wasser fließt flott, zehn Kilometer pro Stunde. Doch meist baut der Nachwuchs sowieso lieber Sandburgen. Oder reibt sich von oben bis unten mit Weserschlick ein, da hilft später oft nur noch die Nagelbürste.
Große Nichtschwimmer sitzen derweil am Strand und lassen die dicken Pötte auf ihrem Weg nach Übersee vorbeiziehen. Oder beobachten das Treiben im Hafen von Brake, vor einer Silhouette aus Kaimauer, Kränen und Getreidesilos. »Der Binnenländer staunt ja, wenn die Schlepper einen Kahn an die Pier bugsieren«, sagt Klaus Rüther. »Und wenn der Autocontainer kommt, ist Brake weg.« Sollte zufällig mal ein großes Segelschiff vorbeikommen, lohnt ein Blick auf die Galionsfigur. Gut möglich, dass die auf Harriersand geschnitzt wurde. Denn auf der Insel lebt auch Claus Hartmann, der einzige professionelle Galionsfigurenmacher der Welt. Ob »Gorch Fock«, »Sedov«, »Großherzogin Elisabeth« oder »Mir« – den Bug schmückt eine Figur von Hartmann. Nur dass auch er es nicht mag, wenn die Leute ihm einfach so auf die Bude rücken.
Man lässt die Inselbewohner also lieber in Ruhe und hockt sich einfach nur an den Strand, am besten in Höhe des Zeltplatzes. Der ist, wenn man so will, das touristische Zentrum. Am Eingang, in einer weißen Hütte unter Bäumen, residierte noch bis in das Jahr 2011 hinein »Platzwart« Alfred Ehlers. Da ging er aber auch schon auf die neunzig zu. »Don Alfredo« war nicht nur der älteste, sondern auch der netteste Platzwart, und das in einem größeren Umkreis, davon war nicht nur seine Lebensgefährtin überzeugt. Alfred war die Seele vom Platz. Natürlich hatte er nichts dagegen, wenn sich die Zelter abends noch um ein Lagerfeuer versammelten. Das machen sie übrigens auch heute noch gern. Dann holen die Kinder Treibholz vom Strand oder Zweige aus dem Wald und irgendjemand hat eigentlich auch immer eine Gitarre dabei. Aber um dreiundzwanzig Uhr ist Schluss. Wenn es danach noch laut ist, kann auch Andrea Böckmann, die neue Platzwartin, daran nicht viel ändern. Dann wird im Hafen von Brake gerade ein Schiff be- oder entladen. »Aber daran gewöhnt man sich.«
Es gibt viele Dauercamper, die hier ihre Sommerferien verbringen. Wenn ihnen die Insel zu klein wird, fahren sie rüber nach Brake, ein Ort mit dem typisch spröden Charme einer norddeutschen Kleinstadt. Und mit einem urigen Schifffahrtsmuseum. Auf den alten Karten im Museum sieht man noch eine Inselgruppe vor Brake. Sie verschwand vor rund fünfundsiebzig Jahren. Damals wurde die Weser begradigt und vertieft. Aus sieben kleinen Inseln entstand eine große: Harriersand. Links und rechts der Weser ist das Land fruchtbar und flach, also bestens geeignet für Radtouren. Wer Bremen, Bremerhaven, Oldenburg, den Jadebusen und das Künstlerdorf Worpswede kennenlernen möchte, für den liegt Harriersand geradezu zentral. Ursprünglich und ohne viel Komfort, ein wenig abseits vom Weltgetöse und doch ein Hauch von großer weiter Welt, so mögen sie das hier. Eigentlich ist Harriersand ein Paradies, sagt Uta Rüther beim Abschied. Und man ahnt, was sie meint.
Global Player aus der Fehnkolonie
Die Meyer Werft baut Luxusliner nach dem Lego-Prinzip
Einmal im Jahr, mindestens, versammeln sich Zehntausende von Menschen auf den Deichen an der Ems, um Schiffe zu gucken. Stehen sich geduldig die Beine in den Bauch, selbst nach Einbruch der Dunkelheit, und warten darauf, dass der nächste Luxusliner der Meyer Werft um die Ecke kommt. Wollen sehen, wie sich der stählerne Riese durch die flache Landschaft schiebt, mit nur einer Handbreit Wasser unterm Kiel. Wer allerdings glaubt, die Leute auf dem Deich seien alle Ostfriesen, die sonst nicht viel zu sehen bekommen, der irrt gewaltig. Von weit her kommen die Zaungäste, um mitzuerleben, wie sich so eine schwimmende Kleinstadt, bis zu siebzehn Stockwerke hoch, der Nordsee nähert. Rückwärts und ganz langsam, wie in Zeitlupe.
Weitere dreihunderttausend Menschen im Jahr zahlen Eintritt für
Weitere Kostenlose Bücher