Lesereise Nordseekueste
Jahre als Vogelwart darüber wachte, dass es die Eierdiebe nicht allzu doll trieben.
Die menschliche Fürsorge trug dazu bei, dass die Kolonie wuchs und wuchs. Zeitweise war sie die größte Deutschlands, bis zu dreißigtausend Pärchen sollen es gewesen sein. Das war dann selbst den Langeoogern zu viel. Was haben sie nicht alles getan, um den Bestand zu begrenzen, mal rabiat, mal trickreich. Sogar Gipseier wurden den Möwen untergejubelt, ein Täuschungsmanöver, das die Tiere schnell durchschauten – sie beförderten die Attrappen kurzerhand wieder aus dem Nest. Urlauber sammelten sie ein und trugen sie in Plastiktüten zu Otto Fischer: »Was sind denn das für komische Eier?« Nein, in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten die Möwen wahrlich keine Fürsprecher. Sie galten als echte Plage. Und wozu diese Tiere fähig waren, das hatte man ja gerade erst im Kino gesehen, bei Altmeister Hitchcock …
Heute gibt es auf Langeoog keine zweitausend Möwenpärchen mehr. Der Rückgang hängt vor allem mit der Schließung offener Müllkippen zusammen, glaubt Weinbecker. Der Allesfresser muss also wieder auf seine natürliche Nahrung zurückgreifen und mühsam Krabben, Muscheln oder Pierwürmer aus dem Watt ziehen. Abwechslung bringt höchstens mal der Inhalt eines gelben Müllsacks. Und dann gibt es tatsächlich auch Möwen, die sich darauf spezialisiert haben, den Leuten das Brot oder die Eistüte zu klauen. Aber auch daran ist, wie wir inzwischen wissen, der Mensch nicht ganz unschuldig …
Auch der allseits beliebte Seehund hat so seine Erfahrungen mit dem Menschen gemacht. Bis in die siebziger Jahre hinein stellte der ihm noch nach, mit Kugeln, Schrot und Netzen. Es gab Zeiten, da gehörte die Jagd auf den Ostfriesischen Inseln zum Kurbetrieb. Und es gab Kurgäste, die eigens das Huxen erlernten, also die Bewegungen des Seehundes nachahmten, um sich ihrer außerhalb des Wassers kurzsichtigen Beute möglichst unauffällig nähern zu können. Geleitet von erfahrenen Insulanern robbten sie über die Sandbänke und wussten genau, wohin sie schießen mussten, um dem Tier tödliche Verletzungen beizufügen. Einige zehntausend Tiere sind im Laufe der Jahrzehnte erlegt worden. Ihr Fell landete als Trophäe vor dem heimischen Bett oder diente der hannoverschen Infanterie als Überzug für Tornister. Auch den Rest verwerteten die Insulaner. Die dicke Speckschicht wurde ausgekocht, um Tran zu gewinnen. »Dann hat es im ganzen Ort gestunken«, erinnert sich Otto Fischer.
Seit 1973 ist der Seehund an der niedersächsischen Küste geschützt. Dezimiert wird der Bestand seither nur durch Epidemien. Vor allem die Staupe von 1988 hat viele Tiere dahingerafft. Es war nicht die erste Epidemie dieser Art, glaubt Uwe Garrels, aber die erste, die die Medien und damit die Menschen wochenlang beschäftigte. Garrels ist der wohl kundigste Ortsführer, den man auf Langeoog bekommen kann. Zwölf Kilometer sind es vom Ortskern zum Ostende der Insel. Dort ist eine Beobachtungsplattform – für Garrels der beste Ort, um Seehunde in freier Natur zu studieren, vor allem im Winter. Bei Niedrigwasser ruhen die Tiere einige Hundert Meter entfernt am Rand der Sandbänke, vor sich das Langeooger Wattfahrwasser. Das ist hier schön tief und mit starker Strömung, also bestens geeignet zum Fang von Garnelen oder Schollen. So behäbig der Seehund an Land wirkt, so schnell ist er unter Wasser, vor allem über kurze Distanzen. Und er hat extrem scharfe Zähne, damit er auch die glitschigen Schollen zu packen kriegt. Er ist und bleibt eben das nach der Kegelrobbe größte Raubtier Deutschlands.
Ein paar Mal im Jahr düst eine Cessna über die Seehundköpfe hinweg. An Bord sind Jäger, diesmal ehrenamtlich und in friedlicher Absicht: Die Tiere sollen gezählt werden. Über siebentausendvierhundert gibt es inzwischen wieder im niedersächsischen Wattenmeer. Das ist eine gute Nachricht. Denn der Seehund ist auch ein Indikator für die Qualität des Wassers. Früher war das Meer mitunter grün und voller Algen, heute hält sich der Nährstoffeintrag dank der Klärwerke in Grenzen, sagt Garrels. Sorgen bereiten ihm vor allem Schwermetalle und andere Umweltgifte, die die Strömung selbst aus Belgien oder Großbritannien herüberträgt und die sich in den Tieren anreichern und ihre Widerstandskraft schwächen. Das sind die Dinge, um die sich der Mensch kümmern müsste, meint Garrels. Denn viel mehr als eine saubere Nordsee
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