Lesereise Nordseekueste
eine Werbeveranstaltung, so muss man es bei genauerer Betrachtung wohl nennen. Sie wollen die Werft besichtigen, auf der diese Traumschiffe gebaut werden. Eine Werft am Rande von Papenburg, Deutschlands größter und zugleich ältester Fehn- beziehungsweise Moorkolonie, einer Stadt so breit wie flach. Dreihundertfünfzig Jahre lang hat von Papenburg kaum jemand richtig Notiz genommen. Das änderte sich erst in den letzten drei Jahrzehnten: Die Meyer Werft wurde zum Aushängeschild einer ganzen Region.
Selbst im Winter drängeln sich die Gruppen im Besucherzentrum. Wer dabei an Gästeführer Andreas Grübmeyer gerät, wird bereits vor dem Betreten der Werft mit Rahmendaten zur Wirtschaft im nördlichen Emsland versorgt. Hat man sich zum Beispiel bei der Anfahrt die ganze Zeit noch gefragt, wovon die Menschen hier bloß leben, so erfährt man jetzt, dass Papenburg eine Hochburg der Gurken- und Geranienproduktion ist. Und dass sich hier das »weltgrößte zusammenhängende Schnittlauchanbaugebiet« befindet. Aber auch die ADO -Werke, weltweit die Nummer eins bei Gardinen. Und die Firma Johann Bunte, ein Bauunternehmen, das kräftig mitmischt beim Jade-Weser-Port, Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen. Nicht zu vergessen die katholische Kirche, aber an der kommt man ja im Emsland ohnehin nicht vorbei. Und dazu eben die »modernste Werft Europas«. Die Superlative purzeln nur so aus Grübmeyers Mund.
Vor uns eine riesige Halle, fünfhundertvier Meter lang, hundertfünfundzwanzig breit, fünfundsiebzig hoch – eines der größten Trockendocks der Welt. Hier werden die Kreuzfahrtschiffe gebaut, wetterunabhängig und nach dem Lego-Prinzip: Aus Stahlplatten werden Sektionen, aus Sektionen Blöcke und aus Blöcken ein Schiff. Durch eine Glasscheibe werfen wir einen Blick auf ein AIDA -Clubschiff, zweihundertzweiundfünfzig Meter lang und damit fast so groß wie die »Titanic«. Mit Einkaufsstraßen, Kino, Fitnesscenter und einem eigenen Bereich für FKK -Anhänger auf dem Sonnendeck. Aber auch mit Krankenhaus, Klärwerk und Müllverbrennungsanlage. Und, ganz wichtig, mit sieben Restaurants – Grübmeyer, ein Hundertsechsunddreißig-Kilo-Mann, lässt keine Gelegenheit aus, um mit seiner Vorliebe für gutes Essen zu kokettieren. Selbstverständlich gibt es an Bord auch ein Theater – die Papenburger sind auch Deutschlands größte Theaterbauer.
Und vermutlich Deutschlands größter Abnehmer von Hotelmöbeln. Schließlich hat so ein Schiff über tausend Kabinen. Grübmeyer präsentiert eine Musterkabine, sie darf nicht betreten werden. »Die Leute lassen alles mitgehen, was nicht niet- und nagelfest ist.« Die Kabinen werden schlüsselfertig angeliefert, die Betten sind gemacht. Rund zwanzig Minuten dauert der Einbau. Es gibt auch andere Kabinen, mit Swimmingpool und eigenem Garten, für dreitausend Euro am Tag. Die sind Jahre im Voraus ausgebucht, sagt Grübmeyer.
Rund zweitausendfünfhundert Mitarbeiter hat die Werft. Gearbeitet wird in drei Schichten. Abends geht es lauter zu, dann fliegen die Funken, dann werden Stahlplatten mittels modernster Laser-Hybrid-Technik zusammengeschweißt. Achthundertfünfundsiebzig Kilometer sind die Schweißnähte auf so einem Schiff der AIDA -Reihe lang, fast alle verschwinden am Ende unter rund zweihundertzwanzig Tonnen Farbe. Besonders bunt sind die Schiffe, die die Amerikaner ordern, sagt Grübmeyer und deutet auf ein Foto: lilafarbene Teppiche mit dunkelgrünen Farbklecksen – wer’s mag, bitte schön. Dazu noch ein Wasserfall über fünf Etagen – aber gerne doch. Für amerikanische Reedereien waren auch die größten Kreuzfahrtschiffe, die bislang in Deutschland gebaut wurden. Mit einem echten Rasen für Golfspieler. Fehlt eigentlich nur noch eine Galopp- und Trabrennbahn, scherzt Grübmeyer.
Das Schöne für die Leute auf der Meyer Werft: Sie haben einen vergleichsweise sicheren Arbeitsplatz. Die Auftragsbücher sind voll. Allein die Amerikaner haben mehrere Kreuzfahrt-Giganten bestellt, größer und teurer als alles bisher Dagewesene. Außerdem entstehen auf der Werft ja auch noch andere Schiffe. Fähren für Indonesien zum Beispiel, mit Moschee an Bord. Oder Tiertransporter, mit denen bis zu hundertfünfundzwanzigtausend neuseeländische Schafe zum Endverbraucher auf der arabischen Halbinsel befördert werden.
Fragt man den Gästeführer, was das Geheimnis des Erfolgs ist, dann sagt er: die kurzen Wege, vor allem Entscheidungswege. »Denn wir haben hier nur einen Chef:
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