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Lesereise Nordseekueste

Lesereise Nordseekueste

Titel: Lesereise Nordseekueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Stelljes
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einem Vortrag in Bad Zwischenahn, keine dreißig Kilometer vom Jadebusen entfernt. Schirmer hält ein dickes Buch in die Höhe: den vierten Bericht des Weltklimarates der Vereinten Nationen ( IPCC ). Danach ist bis zum Jahre 2100 ein Anstieg des Meeresspiegels zwischen achtzehn und neunundfünfzig Zentimetern zu erwarten, je nach Szenario. Dass der Meeresspiegel steigt, ist nicht neu, sagt Schirmer, das macht er seit Jahrhunderten. Es ist die Geschwindigkeit in den vergangenen fünfzig Jahren, die ihm Sorge bereitet. Insofern sei es ein Schritt in die richtige Richtung, wenn bei der Neubemessung der Deiche fünfzig Zentimeter Klimazuschlag eingerechnet werden. »Damit werden wir wohl die nächsten zwanzig, dreißig Jahre Ruhe haben.« Was danach kommt, hänge wesentlich von unserem Verhalten und den damit verbundenen Emissionen ab. »Wenn wir ab morgen alle vernünftig sind, Fahrrad fahren, Solaranlagen aufs Dach setzen, und die Chinesen auf ihre Kohlekraftwerke verzichten«, dann ließe sich vielleicht ein günstiges Szenario zeichnen. Doch danach sieht es nicht aus. Der Tipp des Experten: Einfach mal bei Google »flood firetree« eingeben, da kann jeder Küstenbewohner die Szenarien durchspielen. Bereits bei einem Anstieg von nur einem Meter müssten Emden, Wilhelmshaven und Bremerhaven »Land unter« melden, in Hamburg, Bremen und Oldenburg stünde das Wasser zumindest an den Stadtgrenzen. »Die Karten sind nicht parzellenscharf«, räumt Schirmer ein. Und der größte Trost ist: »Sie kennen keine Deiche.«
    Ohne Deiche müssten etwa 1,2 Millionen Niedersachsen umziehen, so groß wäre das unbewohnbare, weil überflutete Gebiet. »Wer nicht will deichen, der muss weichen«, zu diesem alten Leitsatz gibt es keine Alternative. Eine Mammutaufgabe. Niedersachsen hat eine Deichlinie von gut sechshundert Kilometern, die längste unter allen Bundesländern. Und mit dem Klima sei das wie mit einem Tanker, sagt Johann Oldewurtel. Der hat einen langen Bremsweg. »Irgendwann wird das nicht mehr gehen mit höher, höher, höher. Ich schließe nicht aus, dass wir Ostfriesland mal entsiedeln müssen.«

Harriersand
Stippvisite zu einer der längsten Flussinseln Europas
    Kapitän Eberhard Dieckmann steht am Schiffsanleger in Brake und kassiert. Dieckmann hat gut zu tun, es ist wieder einer dieser Tage, an denen alle nach Harriersand wollen. Die elf Kilometer lange Flussinsel ist in Sichtweite, drüben am anderen Weserufer. Die »Guntsiet« pendelt zwischen kurz vor Ostern und Ende Oktober, außer bei schwerem Sturm. Heute ist die Weser ruhig, keine fünf Minuten dauert die Überfahrt. Kurz vor dem Inselanleger muss Dieckmann sich noch einmal konzentrieren, eine Sandbank, »da muss man schon ganz genau den Winkel wissen«.
    Im Wartehäuschen am Ende des Anlegers gönnen sich ein paar ältere Neuankömmlinge erst einmal einen eisgekühlten Bommerlunder . Rechts davon führt ein Pfad geradewegs in ein Schatten spendendes Wäldchen. Doch schon nach wenigen Minuten steht man wieder in der Sonne, vor sich nichts als saftiggrüne Wiesen. Über Gräben voller Entengrütze krümmt sich das Schilf im Wind. Kühe und Heuballen sind die einzigen Erhebungen, sieht man einmal ab von den eisernen Türmen eines Richtfeuers, das einst den Schiffsführern auf der Weser die Orientierung erleichterte. Am Horizont ragen Kirchtürme und ein Kraftwerk in den blauen Himmel. Irgendwo dazwischen liegt das Ostufer von Harriersand und die »kleine Weser«, wie der rechte Nebenarm genannt wird.
    Das also ist die Flussinsel, die lange Zeit für sich beanspruchte, die längste Europas zu sein (länger, aber eher städtisch, sind Wilhelmsburg in Hamburg und die Donauinsel in Wien). Und nun? Zurück ins Wäldchen und links ab in die »Insel-Allee«. Die besteht aus Gehwegplatten, gesäumt von kleinen, meist braun gestrichenen Holzhäusern. Hier mutet Harriersand an wie eine Kleingartenkolonie. »Alles Privatgelände«, sagt Uta Rüther von den Inselfreunden Harriersand. Gemeinsam mit Ehemann Klaus bewohnt sie eine der hundertachtunddreißig größeren Hütten. Jedenfalls im Sommer. Im Winter machen sie die Schotten dicht – Harriersand ist Überschwemmungsgebiet. Richtig viele Touristen wollen sie hier eigentlich gar nicht haben, schon gar nicht solche, die mit dem Auto über die Brücke kommen, die bei Rade an der Ostseite über die kleine Weser führt. Denn es gibt nur wenige Parkplätze und auch sonst kaum Infrastruktur, nur die »Strandhalle«, ein

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