Lesereise Nordseekueste
sich und bestrebt, das auch deutlich zu machen. Mit Attributen, die stimmen und auch wieder nicht. Und manchmal verändert sich so ein Image eben auch.
Auch das Bild von Spiekeroog hat Risse bekommen. Jedenfalls war es eine Weile mit der Idylle auf der Insel nicht weit her. Es gab Streit. Alles fing damit an, dass sich ein Bremer Reeder anschickte, das Image der Insel zu verändern. Niels Stolberg, so hieß der Mann, erwarb eine Immobilie nach der anderen, investierte Millionen, baute ein »Apart-Hotel« mit Balkonen, wie man sie auf Spiekeroog noch nicht gesehen hatte, und wurde, was die Bettenzahl angeht, schnell die neue Nummer eins. Und errichtete noch dazu den größten Bau auf der Insel: das »Künstlerhaus«. Für Kreativkurse, Diskussionsrunden und Seminare. Bitte nicht noch ein Sylt, bitte kein »Schickimicki«, riefen die Kritiker. Böse Worte fielen. Manchmal auch gar keine mehr. Nicht mal mehr ein »Moin« – eigentlich undenkbar in einem Dorf wie Spiekeroog.
Vielen Leuten hat das Tempo, mit dem der Reeder zu Werke ging, nicht gefallen. Auch Hartmut Brings nicht. Brings gibt den Spiekerooger Inselboten heraus, ist Verleger, Chefredakteur, Anzeigenberater und Zeitungsjunge in Personalunion. Am Ende aber hat man sich zusammengerauft, sagt Brings. Ganz langsam ist die Insel wieder zu ihren alten Lieblingsthemen zurückgekehrt, das Radfahrverbot zum Beispiel, von Urlaubern oft gefordert, von Einheimischen nicht selten verflucht. Brings ist dafür, da dürfen sie auf Langeoog auch gerne weiter von »Spießeroog« reden.
Dann, im Frühjahr 2011, machte Niels Stolberg, der »Erfolgsunternehmer« aus Bremen und »Mutmacher der Nation«, erneut Schlagzeilen. Allerdings ganz andere. Der Reeder war in gefährliche Fahrwasser geraten, von Betrug und Bilanzfälschung war die Rede, die Staatsanwaltschaft ermittelte. Seine Firmengruppe zerbröselte, auch das Künstlerhaus musste schließen. Kaum hatten sie sich auf Spiekeroog mit Stolberg arrangiert, drohte neues Ungemach. Der Bürgermeister fürchtete gar, dass jemand kommt, größer noch als Stolberg, der sich alles unter den Nagel reißt – und das große Geld die Insel am Ende doch noch umkrempelt. Das ist nicht geschehen. Nur dass jetzt weniger Geld in die Gemeindekasse fließt, ein paar hunderttausend Euro jedes Jahr. Immerhin: Die Insel ist zur Ruhe gekommen, sagt Hartmut Brings, jedenfalls im Vergleich zu früheren Jahren. Und Spiekeroog wird sich auch weiterhin deutlich von Sylt unterscheiden.
Als Urlauber bekommt man von all dem Gezerre nicht viel mit. Wer, wie die meisten der sechshundertzwanzig Fährgäste, nur mal eben für einen Tag nach Spiekeroog kommt, macht am besten das, was alle machen. Erst ein Bummel durchs Dorf, schön langsam, versteht sich, wer schnell geht, fällt auf. Dann einkehren, in der »Spiekerooger Teestube« zum Beispiel, ein Logenplatz im Straßentheater. Dann rüber zur Alten Inselkirche, der ältesten Ostfrieslands, soviel Kultur muss sein. Über dreihundert Jahre hat sie auf dem Buckel. Ein echtes Kleinod, das man vorsichtshalber mit gesenktem Kopf betritt – die Votivschiffe, die einst als Leuchter dienten, wurden noch zu Zeiten aufgehängt, als die Menschen etwas kleiner waren.
Ja, doch, Spiekeroog ist dörflich. Und grün. Der gesamte Ortskern liegt im Schatten hoher Bäume, ungewöhnlich genug für eine ostfriesische Insel, auch das haben sie einem Auswärtigen zu verdanken, einem Forstinspektor aus Hannover, der Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Insel weilte. Natürlich sollte man unbedingt auch etwas Zeit für den Strand einplanen. Wer nicht am Strand war, war auch nicht auf Spiekeroog. Kluge Tagesgäste klären vorher, wann genau die Fähre fährt. Je nach Tide kann man mal sechs, mal elf Stunden auf der Insel bleiben. Vom Dorf zum Hauptbadestrand braucht man zwar nur gut fünfzehn Minuten, einmal quer durch den breiten Dünengürtel und vorbei an der höchsten Erhebung Ostfrieslands, einer Düne von immerhin vierundzwanzig Metern Höhe. Wer dann allerdings mehr sehen will als nur Strandkörbe und Sandburgen, der muss sich entscheiden: links oder rechts.
Rechts ist die Ostplate, dort betätigen sich Wind und Gezeiten als Landschaftsarchitekten, dort kann man wunderbar beobachten, wie eine Düne entsteht. Der Wind treibt die feinen Sandkörner über die karge Fläche, bis sie schließlich irgendwo im Windschatten von Binsenquecke oder Strandhafer liegenbleiben. Der Strand zur Linken ist schmaler und endet in Höhe
Weitere Kostenlose Bücher