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Lesereise Paris

Lesereise Paris

Titel: Lesereise Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Chimelli
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Stadt ist leer, es gibt wenig Termine, gut frequentiert sind allein die Café-Terrassen. Sogar das Autofahren wird vorübergehend zum Vergnügen. An den meisten Wohnstraßen ist das Parken während des ganzen Monats August gratis. Anders als auf den Autobahnen kommt man mitten in der Stadt meilenweit, ohne in einen einzigen Stau zu geraten. So weit muss man freilich oft, um eine baguette zu finden. Denn auch die Bäcker sind in Le Touquet oder im Gebirge. Flanierer genießen jetzt die Île Saint-Louis, den Pont Neuf, das Quartier Latin oder ihre sonstige Lieblingsstrecke relativ verkehrsberuhigt. Aber das Gewohnheits- Bistrot , die Qualitäts- Brasserie oder die Vertrauens-Weinstube, wo sie gern einkehren würden, haben zu. Sie sind nicht für ein Publikum gemacht, das zu dieser Jahreszeit exklusiv aus Touristen besteht.

Cherchez la femme
Die Académie Française und das weibliche Geschlecht
    Was eine Frau ist, glaubt jeder zu wissen, schon gar jeder Franzose. Schließlich hat ein Deputierter in der Nationalversammlung bereits vor dem Ersten Weltkrieg zur Abwehr unguter Gleichmacherei den berühmten »kleinen Unterschied« zwischen den Geschlechtern hochleben lassen, aus dem die Literatur seit tausend, das Theater seit dreihundert und das Kino seit hundert Jahren Lorbeer und klingende Münze machen. Dennoch ergeben sich für Philologen Definitionsprobleme, weil im Französischen das Wort homme sowohl den Mann als auch den Menschen schlechthin bezeichnet. Was rechtes Französisch ist, bestimmt – gleichsam für die Ewigkeit – die Académie Française.
    Für heute und morgen jedoch ist der kleine Larousse, das jährlich neu erscheinende Wörterbuch, wichtiger. Als der Diktionär in seiner jetzigen Form 1906 erstmals herauskam, schrieb er unter dem Stichwort femme : »Die Gefährtin des Mannes, die Gattin, diejenige, die verheiratet ist oder war.« Da die Betroffenen sich zusätzlich als Menschen fühlten, konnten die Herausgeber diese schlichte Notiz unverändert bis 1958 erhalten.
    In der Auflage von 1959 war aus der Frau an erster Stelle, noch vor der klassischen Definition, ein »menschliches weibliches Wesen« geworden. Die Erkenntnis, dass auch Frauen Bücher kaufen, möglicherweise mehr als Männer, trug weitere Früchte, denn in der jüngsten Ausgabe lautet der Eintrag: »ein menschliches Wesen weiblichen Geschlechts«. Ob das eine Verbesserung darstellt, kann man bezweifeln. Denn gleichzeitig wurde aus dem homme , der früher bloß »ein menschliches Wesen männlichen Geschlechts; der Mann oder die Frau« war, »ein Wesen, begabt mit Intelligenz und artikulierter Sprache«. Dass er außerdem »die menschliche Rasse im Allgemeinen« repräsentiert, folgt jetzt erst auf seine Einreihung zwischen aufrecht gehenden Primaten und anderen Säugetieren.
    Es dauerte bis 1980, bevor die Académie mit Marguerite Yourcenar erstmals eine Frau in den exklusiven Kreis ihrer vierzig Mitglieder, der »Unsterblichen«, aufnahm. Und der Anfang 2009 verstorbene immerwährende Sekretär der Akademie, Maurice Druon, wehrte sich bis zum vorletzten Atemzug gegen die von den Sozialisten eingeführte Neuerung, weibliche Kabinettsmitglieder »Madame, la Ministre« statt wie bisher »Madame, le Ministre« zu nennen. Das grammatische Geschlecht ging ihm vor dem biologischen. Die meisten Franzosen haben sich in diesem Fall dem Zeitgeist, nicht der Académie gebeugt. Aber aus dem Anwaltstitel »Maître« ist für Advokatinnen dennoch nicht »Maîtresse« geworden. Und der Wachtposten bleibt »la sentinelle«, obwohl er meistens männlichen Geschlechts ist. Am praktischsten ist es bei der Liebe, l´amour , feminin im Singular, les amours , maskulin im Plural.

Monsieur de Paris hat ausgedient
Vom Verschwinden eines traditionsreichen Handwerks
    Wenn er nach Hause kommt, fragt er die concierge , wie es deren Kindern geht, streicht ihnen übers Haar, wenn sie in der Nähe sind, und steigt dann die sechs Treppen zu seiner kleinen Wohnung empor. In seinem Viertel nahe der Porte de Saint-Cloud ist der Mann mit der aufrechten Haltung, dem dunklen Regenmantel und der Plastiktüte vom Supermarkt ein Anonymus unter Tausenden: sonnengebräunt vom Urlaub im Westen Frankreichs, vom Fischen, Jagen und von der Gartenarbeit ein rüstiger Achtziger mit Halbglatze und kantigem Gesicht. Viele seiner Kollegen in der Druckerei in Montrouge, wo er jahrzehntelang als Schriftsetzer arbeitete, fanden ihn einen »netten Kerl«. Andere wollten ihm nicht die Hand

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