Lesereise Paris
große Zimmer, Aufzüge, Neonlicht, Plastik, Resopalmöbel, elektrische Geräte, Hausangestellte, Cannes mit seinen Festspielen, Wintersport, Museen, Stierkämpfe, Paris.
Brigitte fing mit fünfzehn Jahren an, sich über alle Konventionen hinwegzusetzen. Aber sie ist noch mit mehr als siebzig die Bürgerstochter, die es nicht mag, wenn andere das Wertsystem in Frage stellen, mit dem sie groß geworden ist. Die Gesellschaft von heute behagt ihr nicht. »Ich hasse sie, sie ist mir widerlich, ich finde sie abscheulich«, sagt sie im Gespräch. Ihr missfällt »die Dekadenz, die moralische und körperliche Schmutzigkeit, die Hässlichkeit, das Unästhetische, der Verlust wesentlicher Werte, die Pornografie«. Die Mode der Gegenwart nennt sie im Buch prêt-à-pédés – Konfektion für Schwule: »Wie könnten Männer, die keine Frauen mögen, es fertigbringen, für sie Dinge zu schaffen, die sie zur Geltung bringen?« Sogar die katholische Kirche ist vom Achtundsechziger-Geist erfasst: »Man duzt Gott, man nennt ihn ›meinen Kumpel‹, und man haut ihm auf die Schenkel.« Religion müsse unveränderlich in den Formen sein – wie ein Rolls-Royce.
Wenn Moscheen die Kirchtürme verlassener Dörfer ersetzen, ist Brigitte Bardot traurig. Sie kämpft gegen die »barbarische Sitte« des Hammelschächtens zum muslimischen Aid-el-Kebir, der, sagt sie, gleichsam ein französischer Nationalfeiertag geworden sei. Langsam nehme der Fundamentalismus Frankreich in Besitz, »das einmal ein sanftmütiges, zivilisiertes Land war«. B. B. verehrt de Gaulle, sie war mit Valéry Giscard d’Estaing einverstanden, und sie findet Jean-Marie Le Pen »einen charmanten, intelligenten Mann, der wie ich über verschiedene Dinge empört ist«. Mit allen Ideen des Front-Führers will sie nicht einiggehen. Doch ihn selber findet sie liebenswürdig und warnt davor, Le Pen zu »verteufeln«. Sie hat den Rechtsextremen schon vor langer Zeit kennengelernt, als beide Verwundete des Algerienkriegs im Lazarett besuchten. Und sie hat über Le Pen ihren gegenwärtigen und mutmaßlich letzten Ehemann Bernard d’Ormale getroffen: Die einzige Gelegenheit, bei der die Memoiren von der Vergangenheit in die Gegenwart springen.
Schopenhauer, so sagt B. B., hat sie nicht gelesen. Doch dessen Wort »Wenn es keine Hunde gäbe, möchte ich nicht leben« würde sie sofort unterschreiben. Sie hat ihren Schmuck verkauft, aus dem sie sich nie viel machte, und ihr Haus in Saint-Tropez der Brigitte-Bardot-Stiftung übertragen, denn im Schutz der Tiere will sie den einzigen Sinn ihres zweiten Lebens sehen. Katze, Hund, Esel und Seehund, niedlich aufgereiht, sind das Emblem der Stiftung. Für Biografien wie die ihre wären die drei Affen, die Augen, Ohren und Mund mit den Händen bedecken, das bessere Exlibris. Jeweils einer müsste dabei Pause machen.
Es gibt Dinge, die Brigitte Bardot nicht sieht, es gibt welche, die hört sie nicht. Und da sind einige, die sie nicht sagt.
Der Krieg der Kopftücher
Gott ist groß, Sarkozy ist klein
Von ihrer Familie lässt sich Sonia jetzt »Sausan« nennen. Sie ist achtzehn Jahre alt, ein dunkles Tuch verhüllt ihr Haar. Die Wimpern und Augenlider des Mädchens sind mit Kohle geschwärzt, was nach orientalischem Verständnis nicht unbedingt sündhafte Kosmetik ist, sondern auch Körperpflege sein kann. Sonst trägt Sonia kein Make-up. Denn sie kämpft, wie sie sagt, »für die Sache Gottes«. Beraten von einem französischen Juristen, der zum Islam übertrat, ist Sonia die Wortführerin von vierundzwanzig Schülerinnen des Lycée Saint-Exupéry im Industrieort Mantes-la-Jolie nördlich von Paris, die sich weigern, ihre Kopftücher abzulegen. Der Name Sonia steht in ihren Papieren, und die Klasse ist an ihn gewöhnt. Aber »Sonia« klingt westlich-weltlich. Deshalb das islamische »Sausan«.
Sausan-Sonia würde gern Journalistin werden. Wenn sie wegen des Kopftuchs von der Schule gewiesen wird, will sie es mit Fernkursen versuchen. Falls sie in Frankreich mit bedecktem Haar nicht arbeiten kann, ist sie auch bereit, ins algerische Oran zurückzukehren, das sie mit zwei Jahren verlassen hat. »Das Kopftuch hat nichts Herausforderndes«, sagt Sonia. »Man darf in ihm kein Zeichen für Fundamentalismus sehen. Frankreich möchte die zweitwichtigste Religion des Landes verteufeln, aber indem man uns an den Rand schiebt, gibt man uns ein Podium, auf dem wir sagen können, wie sehr der Islam gerecht ist.«
Amtlich wird die
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