Lesereise Paris
Bürgermeister. Jetzt fühlt sich die Elite der Zuwanderer von den Islamisten überholt. Zentrum ihrer Agitation ist die Moschee in der Rue Archimède. Dort steigen auch Abgesandte der Islamischen Rettungsfront Algeriens ( FIS ) ab. Ladenbesitzern in der Umgebung wird nahegelegt, keinen Alkohol und kein Schweinefleisch mehr zu verkaufen.
Es war in den neunziger Jahren der bürgerliche Erziehungsminister und praktizierende Katholik François Bayrou, der durch einen Erlass das Tragen von »auffälligen religiösen Merkmalen« in den Schulen verbot. Beim ersten Auftreten von Fatima, Leila und Samira, hatte er als Abgeordneter noch gefunden: »Jede Handlung der Ausschließung kann die Entwicklung von Koranschulen nach sich ziehen. Sie wären für die Integration viel schädlicher als ein Schleier auf dem Haar.« Festgefahrene Situationen, die den Islamisten in die Hände spielten, sollten besser vermieden werden.
Viele Lehrer denken noch immer so. »Wir haben sie beim Schulbeginn nach den Ferien mit Kopftuch akzeptiert. Dann können wir sie nicht ein paar Wochen später abweisen. Das wäre ein Vertragsbruch, der sich nicht rechtfertigen lässt«, zitiert Le Monde einen Physiklehrer am Gambetta-Gymnasium von Tourcoing. Ein Geschichtslehrer derselben Schule sagt: »Die meisten dieser jungen Mädchen sind lebhaft und intelligent. Sie haben sich bis jetzt überhaupt nicht missionarisch, aggressiv oder provokant verhalten.«
Tatsächlich sollte der Erlass einen Gesetzesentwurf abfangen, der erheblich weiter ging. Sein Urheber war der gaullistische Abgeordnete Ernest Chenière – früher Direktor eben jenes Lycée in Creil, aus dem er schon Fatima, Leila und Samira hinauswarf. Der Karate-Amateur Chenière stammt von den Antillen, ist von egalitär-republikanischer Gesinnung und war durch seine schwarze Hautfarbe besser als ein Weißer gegen den Vorwurf des Rassismus gefeit. Für die Laizisten ist das Kopftuch nur der Anfang, dem gewehrt werden muss. Es liegen zahlreiche Anträge muslimischer Schülerinnen auf Befreiung vom Turnen vor. Andere wollen vom Französisch-Unterricht dispensiert sein, wenn gottlose Autoren wie Voltaire gelesen werden. Bei Theaterbesuchen entschuldigen sich ohnehin viele. Einige fundamentalistische Elterngruppen haben bereits Geschlechtertrennung im Schulhaus gefordert.
Alles fing mit einem Ei an. In Marseille bekamen muslimische Schulkinder schon vor Urzeiten ein hart gekochtes Ei, wenn andere in der Mittagspause mit einem Schinkenbrot gespeist wurden. Unter der Hand ließen Schulen für nordafrikanische Kinder Koran- und Arabisch-Unterricht zu, während andere Schüler Französisch oder Mathematik hatten. Nach einer Konvention vom Oktober 1981 kann ein Marokkaner auch in Frankreich seine marokkanische Frau ohne Gerichtsverfahren verstoßen. Ein Franzose algerischer Abstammung braucht seinen Militärdienst nicht in Frankreich zu leisten. Von 1980 bis 1993 war für Muslime de facto Polygamie zugelassen. Und von den kommunistisch regierten Pariser Vororten Aubervilliers oder la Courneuve bis zu dem von der liberalen UDF verwalteten Rillieux-la-Pape am Rande von Lyon unterstützen ungezählte Gemeinden islamistische Organisationen, indem sie ihnen Geld oder Lokale zur Verfügung stellen. Die Fundamentalisten haben den Ruf, bei der Bekämpfung von Kriminalität und Drogen effizienter zu sein als Sicherheitskräfte.
Mitten im Land ein Kontinent voller Hass
Die Explosion der Gewalt in Frankreichs Vorstädten
Für die Polizei sind die Neuen Mühlen ein »schwarzes Loch«. Alles verschwindet in ihm: geschmuggeltes Rauschgift und gestohlene Motorräder, in flagranti ertappte Straßenräuber und Ausländer ohne Papiere. Als die Polizisten noch versuchten, das schwarze Loch zu ergründen, hagelte es regelmäßig Verwünschungen und Steine. Auf den Straßen rotteten sich binnen Sekunden Horden von Jugendlichen zusammen, aus den Fenstern der Hochhäuser flogen Bierflaschen und Mülleimer. Wer sich als Außenstehender, besonders nachts, auf den schäbigen Rasen, die Betonpfade oder in die verwahrlosten Treppenhäuser der Neuen Mühlen begibt, tut es auf eigene Gefahr. Die flics tun es nicht mehr.
Von der Kathedrale Notre-Dame de Paris sind die Neuen Mühlen, les Moulins-Neufs, im Vorort Stains, ganze zwölf Kilometer entfernt. Im benachbarten St. Denis, kaum eine halbe Stunde zu Fuß, liegen Frankreichs Könige begraben. Nicht viel weiter ist es nach Le Bourget, wo die Flugzeug- und Waffenhersteller der
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