Lesereise Rom
ja zurück zum Herd musste. So funktioniert Italien, und anders funktioniert es nicht; anders hätte Anna Monate gewartet und einen Tag verloren.
Ja, es hat seine schönen Seiten, das Trattoria-Leben. Beispielsweise wirft das Lokal ein schönes Geld ab. Aldo und die Schwiegersöhne fahren allesamt Mercedes, auch aus Wertschätzung für deutsche Art und Arbeit, wie er sagt. Die Familie besitzt ein paar Immobilien in Rom, Häuser und Geschäftslokale in Annas Heimatdorf Moricone draußen im Sabiner-Land, und wenn Aldo, der Jäger, sich für fünftausend Euro einen Jagdhund kaufen möchte, ist das finanziell kein Problem.
Die eigentliche Genugtuung aber ist etwas anderes, sagt Aldo, während er an einem der Tische auf der piazza die eben eingetroffenen Steinpilze aus Kalabrien säubert. Dass man Anerkennung bekommt; dass eine Zeitschrift das Lokal empfahl; dass der spanische Regisseur Pedro Almodóvar,ein amico , im Fernsehen vom Pommidorosprach; dass TV -Stars zum Essen da waren, auch der Komiker Benigni und der Verleger Einaudi. Der Uni-Rektor kommt, der Bezirkspräsident, ein paar Politiker, berühmte Künstler wie Nunzio und Pizzi Cannella. »Wenn ich diesen Beruf nicht hätte, dann würde ich in meinem bescheidenen Leben diese Leute nie treffen«, sagt Aldo. »Wenn einmal Helmut Kohl in Rom wäre und zum Pommidorokäme – da würde ich mich aufpumpen!«
Früher war auch der Dichter und Filmer Pier Paolo Pasolini regelmäßig zu Gast, oft hat Aldo mit ihm geplauscht. Einmal brachte er Maria Callas mit. Und 1976, am Vorabend seiner Ermordung, aß Pasolini im Pommidorowie üblich Beefsteak mit Mozzarella; der Scheck, mit dem er zahlte, elftausend Lire, hängt bis heute eingerahmt am Kücheneingang.
Solch ein Souvenir entschädigt für Strapazen, die nie enden. Es ist ja nicht vorbei, wenn nachts um halb zwei der Rollladen der Eingangstür zu Boden rasselt und die Schwiegersöhne die Mercedes anwerfen. Während sie die dreiundvierzig Kilometer hinausfahren nach Moricone, wo sie alle wohnen, während Aldo auf dem Rücksitz kurz einnickt, ist ein Gewährsmann schon unterwegs zum Schlachthof, um frisches Lammgedärm zu holen. Angekommen auf dem Landgut, das Aldo und Anna sich außerhalb Moricones auf fünf Hektar grüner Einsamkeit errichtet haben, füttert Aldo noch im Lampenlicht die Hunde im Zwinger, und Anna schaut nach der Voliere, in der sie bunte Vögel hält, zehn Pfauen darunter.
Moricone ist Heimat, Flucht- und Ruhepunkt, auch Rohstoffbasis. Aldo hat hier draußen den Wein gepflanzt, den er im Pommidoroausschenkt, von hier kommt das Öl, hier wachsen die Desserts auf Bäumen: Birnen, Feigen, Pfirsiche oder Kirschen. Ardian und Zamir, die beiden Küchenhelfer, pflücken das Obst am anderen Morgen, schütten den Hühnern die mitgebrachten Essensreste aus dem Pommidorohin, sammeln die Eier aus den Nestern, zapfen Wein. Beim Bäcker im Ort haben sie schon einen Sack frisches Brot geholt, Aldo hat Fisch bestellt am Telefon, und Anna füllt eine Waschmaschine, die sie erst nächste Nacht leeren wird; gebügelt wird am Sonntag.
Kaum sechs Stunden hat die Ruhe gewährt, schon ist ein neuer Arbeitstag im Rollen, schon sitzen wir wieder im Mercedes Richtung Rom, unterwegs zum Großmarkt in Santa Lucia, um kistenweise Salat, Gemüse und Kräuter zu laden. »Das ist mein Moment der Entspannung«, sagt Anna, während sie auf dem Beifahrersitz die Zeitung entfaltet. Und Aldo, jetzt am Steuer, knurrt: »Ich habe keinen Augenblick Freiheit.«
Aldo hat, kaum dass der Rollladen des Pommidoro wieder hochgezogen ist, zu tun mit Lieferanten. Die Lämmer aus dem Molise treffen ein, das Schweinefleisch, Kaffee, Mineralwasser, gereinigte Tischdecken. Aldo kontrolliert alles, man muss auf der Hut sein »in diesen unehrlichen Zeiten«. Vom Pasta -Lieferanten verlangt er, dass der die Nudeln in einem besonderen, unüblichen Maß schneidet, damit er ihm keine Reste von gestern andrehen kann. Und bezahlt wird sofort in bar, damit es hinterher keine Händel gibt.
Es geht auf elf, Anna wirft die Gasflammen an, greift zur dreigezinkten Gabel, bereitet Saucen vor. Tochter Dina putzt Zichorie, Zamir schneidet Zucchini klein, Aldo steckt Lamminnereien auf den Grillspieß und wickelt Lammdarm darum, pajata heißt diese Spezialität.
Schwätzen wir von Familienangelegenheiten. Wie läuft das im Familienbetrieb? War kein bisschen Ernst dabei, als Amedeo gestern scherzte, die Schwiegersöhne würden sich am liebsten auf und davon machen?
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