Lesereise Schottland
Kaledoniens war, aus der wilde Stämme und herumziehende Barbaren die Früchte des Wissens und die Segnungen der Religion schöpften. Der Mensch ist wenig zu beneiden, dessen Patriotismus auf der Ebene Marathons nicht stärker oder dessen Frömmigkeit zwischen den Ruinen Ionas nicht wärmer würde.«
Schon bevor St. Columban im Jahr 563 auf Iona landete und ein Kloster gründete, war die Insel ein religiöser Ort, an dem sich Druiden, die die Sonne anbeteten, niedergelassen hatten. Columban stammte aus einer königlichen Familie in der irischen Grafschaft Donegal. Bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr hatte er zahlreiche Kirchen und Klöster auf der Grünen Insel gegründet, doch dann wurde er in eine Auseinandersetzung mit einem anderen clan verwickelt. Columban sicherte sich die Unterstützung seiner mächtigen Familie und siegte in der Schlacht, in der dreitausend seiner Feinde ums Leben kamen. Die Kirchenoberen machten Columban für das unnötige Gemetzel verantwortlich und schickten ihn hinaus in die Welt, auf dass er genauso viele Seelen für die Kirche gewinne, wie in der Schlacht verloren gegangen waren. Im Frühsommer 563 segelte er mit zwölf Anhängern nach Iona. Ob die Insel damals bewohnt war, weiß man nicht. Jedenfalls errichteten die dreizehn Männer ihre Gebäude nördlich der heutigen Abtei, darunter auch Columbans Mönchszelle. Wegen dieser Zelle wird Iona auch Icolmkille genannt: die Insel der Zelle Columbans.
Fest steht, dass die Mönche auf Iona im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von den Wikingern überfallen wurden. Als die Nordmänner im Jahr 806 am Strand der Märtyrerbucht, wie sie seitdem heißt, achtundsechzig Mönche töteten, mussten die Überlebenden nach Irland in die Abtei von Kells fliehen, wo sie die berühmte illuminierte Evangelienhandschrift, das heute im Trinity College Dublin ausgestellte »Book of Kells«, fertigstellten.
Die toten Mönche wurden von der Märtyrerbucht auf der Sràid nam Marbh , der »Straße der Toten«, zum Friedhof Reilig Odhráin getragen. Er liegt direkt neben der mächtigen Benediktinerabtei, die von 1902 bis 1965 wiederaufgebaut wurde und heute wohl so aussieht, wie sie zum Ende des 15. Jahrhunderts ausgesehen hat. Bis ins 20. Jahrhundert wurde der Brauch gepflegt, bei Totenfeiern von der Märtyrerbucht über die Straße der Toten zum Reilig Odhráin zu gehen.
Wer war dieser Oran, nach dem der Friedhof benannt ist? Der Legende nach gehörte er zu den zwölf Anhängern Columbans, die gemeinsam mit ihm von Irland herübergekommen waren. Auf Iona schlug Oran vor, ein Opfer zu bringen und sich lebendig begraben zu lassen. Columban fand Gefallen an der Idee, doch als man Oran nach drei Tagen wieder ausgrub, war er noch am Leben und erzählte vom Jenseits. Columban war ob dieses Sakrilegs so entsetzt, dass er den armen Mönch gleich wieder verbuddeln ließ. Die St. Oran’s Chapel auf dem Friedhof ist das älteste intakte kirchliche Gebäude auf Iona, die Kapelle stammt aus dem späten 12. Jahrhundert. Vermutlich sind hier John und Donald McDonald begraben, der erste und der zweite Lord der Inseln.
Insgesamt sollen achtundvierzig schottische, vier irische und acht norwegische Herrscher auf dem Friedhof ruhen, aber genau weiß das niemand. 1057 ist Macbeth hier beerdigt worden, neben seinem Opfer Duncan. Bei Shakespeare heißt es, Duncans Leichnam sei »fort gen Westen nach Icolmkille, dem Beinhaus seiner Ahnen«. Die Steine der vermeintlichen Könige und Hochadligen hat man inzwischen in der Oran-Kapelle, in der Abteikirche und im Abteimuseum untergebracht, um sie vor Umweltschäden zu schützen. Die älteste entzifferbare Inschrift auf dem Friedhof gehört zum Grab von »John MacKay, Bewohner von Icolmkille«. Er und seine Frau wurden 1730 geboren.
An der östlichen Friedhofsmauer steht ein Obelisk, der zwischen den keltischen Kreuzen etwas fremd wirkt. Wenige Stunden vor dem Jahreswechsel 1865 sei ein dreimastiger Schoner, der mit Baumwolle und Korn aus Amerika unterwegs nach Liverpool war, vom Sturm erfasst worden und auf einen Felsen aufgelaufen, erzählt Francis. Nur vierhundert Meter vom Strand der Camas Cùl an t-Saimh, der »Bucht am Ende des Ozeans«, ging die Guy Mannering unter, fünfzehn Matrosen starben. Neunzehn konnten jedoch gerettet werden, darunter Kapitän Brown, weil die Einheimischen eine Kette gebildet und sich weit in die Bucht hinausgewagt hatten. »Als der US -amerikanische Konsul Bret Harte siebzehn Jahre später diese
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