Lesereise Schottland
Sportjournalist Roddy Forsyth. »Wären wir unabhängig, wäre Fußball nur irgendeine Sportart, doch so trägt er die Bürde der schottischen Identität.« Als sich die Fußballnationalmannschaft 1978 bei den Weltmeisterschaften in Argentinien blamierte, ging die Unterstützung der schottischen Unabhängigkeitsidee schlagartig zurück.
Zulauf erhält die SNP heute vor allem von jungen Leuten. Dazu tragen nicht zuletzt schottische Bands wie Runrig bei, deren Konzerte meist ausverkauft sind. Die Gruppe singt über vergangene Schlachten, englische Unterdrückung und schottische Kultur, ihr Sänger Donny Munro hat die Band mittlerweile verlassen und betätigt sich als Labourpolitiker auf der Insel Skye. Ein Teil des Runrig-Repertoires besteht aus gälischen Liedern – eine Sprache, die nur noch von siebzigtausend Schotten gesprochen wird. »Wenn man als Nation keine politische Ausdrucksmöglichkeit hat«, sagt Pat Kane, Sänger der Gruppe Hue and Cry, »dann ist Kultur politisch.« Dick Gaughan, der im Edinburgher Hafenviertel aufgewachsen ist und mit knarrender Stimme Folksongs und politische Lieder vorträgt, meint: »Es liegt an uns zu entscheiden, welche Art von Schottland wir wollen. Die Union mit England hat sich nie zum Vorteil Schottlands ausgewirkt.«
Dreihundert Jahre sind genug
Es ist früh, sehr früh. Alex Salmond, der Chef der Schottischen Nationalpartei SNP , hat zu einem Geschäftsfrühstück geladen. Im Oloroso, einem trendigen Restaurant im obersten Stockwerk eines Eckhauses in der Innenstadt von Edinburgh, treffen ab sieben Uhr die ersten Geschäftsleute ein.
Um acht Uhr betritt Salmond die Bühne. In seinem schwarzen Anzug und blauen Hemd mit roter Krawatte sieht er aus wie ein Bankier, und das war er früher auch. Bis er in die Politik ging, arbeitete er bei der Royal Bank of Scotland als Ölexperte. Um Öl geht es auch an diesem Morgen. Salmond, Jahrgang 1954, legt seinen Haushaltsplan für die nächsten vier Jahre vor. Es ist der Tag vor den Wahlen zum schottischen Regionalparlament im Mai 2007. Salmond hofft, danach der schottischen Regierung als Erster Minister, wie der Regierungschef heißt, vorzustehen.
Er rechnet den Geschäftsleuten vor, wo sich Gelder einsparen lassen, etwa bei der Verschlankung der Bürokratie. Mit Hilfe der Einnahmen aus dem Nordseeöl und der Whiskyindustrie könne man die Körperschaftssteuer senken. Das würde ausländische Investoren anlocken, sodass die schottische Wirtschaft wachsen würde.
Die Geschäftsleute applaudieren höflich. Sie haben die Angst vor der SNP längst verloren. Noch 1999, vor den ersten Wahlen zum Regionalparlament, warnten hundert Unternehmer, dass die SNP Chaos und Ruin über Schottland bringen würde. Das ist inzwischen anders. Fünfunddreißig Prozent der Spitzenverdiener wählen die SNP – mehr als jede andere Partei.
Steven Moffat ist einer davon. Er sieht nicht aus wie ein Geschäftsmann. Er trägt Jeans, hat lange Haare und einen Dreitagebart. Früher hat der Vierzigjährige die SNP gewählt, dann, nach der Teilautonomie 1999, setzte er auf Labour. »Aber diese Regierung hat nicht die versprochenen Rahmenbedingungen für Wachstum geschaffen«, sagt er.
Salmond hat ihn beim business breakfast im Oloroso überzeugt: »Sein Wirtschaftsplan ist verständlich und klingt vernünftig.« Moffat ist vielseitig, er importiert Holzhäuser aus Litauen, verkauft Babykleidung, Unterwäsche, Reitutensilien und vermarktet Musikrechte. Er hat nur sieben Angestellte, die anderen Mitarbeiter sind am Profit beteiligt. »So können sie selbst die Höhe ihres Einkommens beeinflussen«, sagt er. Das klingt nach Tony Blairs Schlagwort von der »stakeholder society«, in der die gesamte Bevölkerung Mitglied derselben Interessengruppe ist.
Doch mit Labour hat Moffat gebrochen, er hofft auf die SNP . Die Partei entstand 1934 aus einer Fusion der linken National Party of Scotland mit der konservativen Scottish Party. Ihr erstes Unterhausmandat gewann sie 1967. Der Durchbruch kam bei den Wahlen 1974. In der Nordsee hatte man Öl entdeckt, und die SNP bestritt den Wahlkampf mit dem Slogan: »Es ist Schottlands Öl.« Sie gewann dreißig Prozent der Stimmen, ist seitdem ein Machtfaktor in Schottland und tritt für die vollständige Unabhängigkeit ein.
Vor rund dreihundert Jahren wurde Schottland mit England vereinigt. Es war eine Zwangsehe, denn London übte erheblichen Druck aus und schickte als Anreiz zwanzigtausend Pfund. Gegen den Unionsvertrag gab
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