Lesereise - Schweden
Anfang noch Zeit, sich mit seinem Nebenmann zu unterhalten. Doch bald schon führt die Spur steil bergauf. An Smalltalk ist dann nicht mehr zu denken. Dave schienen die Anstiege endlos – und neidisch blickte er selbst alten Männern hinterher, die scheinbar schwerelos an ihm vorbeizogen. Je länger das Rennen dauerte, desto schwerer wurden Daves Beine. Noch nie hatte er eine längere Strecke als vierzig Kilometer zurückgelegt. Und er merkte: Beim Rollerskilaufen werden ganz andere Muskeln trainiert, als sie beim Skilanglauf auf Schnee gebraucht werden. Dave lief nicht nur gegen seinen inneren Schweinehund an, sondern auch gegen das vorzeitige Ausscheiden. Beim Wasalauf werden nämlich an mehreren Punkten Zwischenzeiten genommen. Wer da zu langsam ist, fliegt aus dem Rennen. Lange Aufstiege, rasende Abfahrten, endlose Flachstücke – Dave hat alles geschafft und schließlich auch noch das Zeitlimit eingehalten. Zwölf Stunden hätte er brauchen dürfen. Nach elfeinhalb Stunden erreichte er als zwölftausendvierhundertachtunddreißigster das Ziel. Ließ sich erschöpft in den Schnee fallen und genoss wie seine Mitläufer den Jubel des Publikums in Mora. Dort warteten Tausende Skifans auf ihre Helden. Und für die macht es keinen Unterschied, ob man als Erster ins Ziel kommt oder als zwölftausendvierhundertachtunddreißigster, wie Dave. Ob man den Lauf in vier Stunden schafft oder in elfeinhalb. Die Leute stehen auch abends noch da – und warten, bis der letzte Läufer eingetroffen ist.
Seither nahm Dave Robson noch zwei weitere Male am Wasalauf teil. Jedes Mal war er ein bisschen schneller als beim vorherigen Lauf. Zuletzt landete er sogar im vorderen Mittelfeld – auf Platz sechstausend, ungefähr.
Inzwischen lebt Dave mit seiner Frau in Schweden und leitet gemeinsam mit ihr das Hotel Fryksås bei Orsa. Das liegt nur eine knappe Autostunde vom Zielort Mora entfernt. Doch Zeit, am Wasalauf teilzunehmen, hat er nicht mehr. Wenn der stattfindet, herrscht in seinem Hotel Hochsaison. Dave sorgt heute dafür, dass seine Gäste pünktlich an den Start kommen.
Der erfolgreichste Läufer beim Wasalauf ist Nils »Nisse« Karlsson. Er gewann ihn in den vierziger und fünfziger Jahren insgesamt neun Mal. Fragt sich, wer mehr Bewunderung verdient: Männer wie er, die alle anderen besiegen – oder Menschen wie Dave Robson, die sich selbst besiegen.
Laufen und werfen gegen Finnland
Ein Leichtathletikländerkampf bewegt ein Volk
Sven hat sich in seinem Sessel vorgebeugt und schaut gebannt auf den Bildschirm. Er kann kaum glauben, was er soeben gesehen hat: Jarkko Ruostekivi und Nipa Tran haben Stefan Tärnhuvud im Hundertmeterlauf besiegt. »10,50 und 10,53 sind die Finnen gelaufen, unserer nur 10,65«, kommentiert Sven und schüttelt den Kopf. Denn der Favorit war eigentlich Tärnhuvud. Doch nun hat Finnland die Schweden erneut geschlagen.
Es ist Ende August in Schweden: Draußen scheint die Sonne, und trotzdem sitzt das halbe Land vor der Glotze. Es ist die Zeit des Finnkampen – des »Finnenkampfs«. Jedes Jahr im Spätsommer liefern sich die beiden Nachbarländer einen Leichtathletikwettkampf. Der findet abwechselnd in Finnland und in Schweden statt. Andere Nationen haben Länderkämpfe wie diese längst abgeschafft. In einer Zeit, in der jeder Spitzensportler Individualist und Profi ist, sind sie so unpassend und wirken sie so fehl am Platz wie Bonanzafahrräder und Batikhemden.
In Schweden wird ein solcher Wettkampf aber nicht nur veranstaltet, er gilt sogar als das wichtigste Sportereignis des Jahres. Übertroffen allenfalls von einem Eishockey- WM -Spiel – vorausgesetzt, der Gegner ist das finnische Team.
In Finnland setzt man die Prioritäten ähnlich. Sport ist schön, Sport ist entspannend, Sport ist die wichtigste Nebensache der Welt – aber wenn es gegen den Nachbarn geht, hört der Spaß auf.
Das hat auch geschichtliche Gründe. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war Finnland eine Art schwedische Kolonie. Seitdem haben die damaligen Herrscher den Ruf weg, arrogant und überheblich zu sein. Dabei hatte man nie ernsthafte Probleme miteinander. Die beiden Völker lebten immer freundschaftlich nebeneinander. Und als Finnland noch nicht wirtschaftliches Vorzeigeland, sondern Krisenregion war, arbeiteten viele Finnen in Schweden. Umgekehrt gibt es in Finnland eine recht beachtliche schwedische Minderheitengruppe. Sechs Prozent der Finnen haben Schwedisch als Muttersprache.
Beste Voraussetzungen also für ein
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