Lesereise - Schweden
dreiundzwanzig und dreiunddreißig. Einige von ihnen wirken wie Popstars und nicht wie Köche – Stars in der Szene sind sie allesamt, und Idole, denen man nacheifert. »Wir wollen für die jungen Köche draußen im Land Vorbild sein und dafür sorgen, dass Schweden bald auch international als Land der guten Küche bekannt wird«, so Dahl.
Entwicklungshilfe im eigenen Land ist durchaus nötig. Lange Zeit war Schweden als Heimat fettiger Fleischbällchen mit matschigem Kartoffelbrei verrufen, und von pytt i panna . »Restepfanne« könnte man dieses Gericht nennen – was vom Vortag übrig bleibt, wird mit viereckigen Kartoffelstückchen verkocht. Damit das Ganze nicht allzu unappetitlich aussieht, schlägt man zur Tarnung noch ein Ei darüber. Ebenso berüchtigt ist Janssons frestelse , ein Auflauf aus Kartoffeln, Anchovisfilet und jeder Menge Sahne, der übersetzt etwas euphemistisch »Janssons Versuchung« heißt. Verwenden die Schweden Bückling statt Anchovis, nennen sie das entsprechende Gericht Karlssons frestelse , ganz ohne Fisch heißt es Svenssons frestelse . Ich kenne keinen dieser drei Herren, offenbar sind sie aber allesamt leicht zu verführen, denn kulinarisch Hochwertiges sieht anders aus.
Kochwettkämpfe bestehen aus zwei Disziplinen, der kalten und der warmen Küche. Bei der »warmen Küche« wird gegen die Zeit gekocht. Innerhalb von fünfeinhalb Stunden muss ein Drei-Gänge-Menü für hundertzehn Personen auf dem Tisch stehen. Jeweils zehn Gerichte bekommen die Juroren vorgesetzt und bewerten sie nach Aussehen, Zutatenauswahl und Geschmack.
Im Trainingslager steht heute aber die »kalte Küche« auf dem Programm – und da isst das Auge nicht nur mit, sondern ganz alleine. In dieser Disziplin geht es ausschließlich um die Optik, die aber muss perfekt sein. Zum Verzehr gedacht sind die Speisen nicht. Eine Küche zum Abnehmen sozusagen. Kein Wunder also, dass die Nationalmannschaftsköche rank und schlank sind. Sie leben ihren Beruf intensiv, bei ihnen dreht sich alles ums Essen. Typische Kochfiguren, dicke Bäuche, die auf viel Abschmecken hindeuten, sucht man aber vergeblich.
Obwohl bei der kalten Küche der äußere Eindruck entscheidet, müssen die Gerichte so zubereitet werden, dass sie gegessen werden könnten. »Bei internationalen Wettbewerben präsentiert jedes Land ungefähr dreißig Kaltspeisen«, erklärt Dahl. Damit die des schwedischen Teams besonders eindrucksvoll aussehen, muss heute im Training jeder »Nationalspieler« seine Kreation nochmals verbessern. Vor den Köchen liegt ein Foto ihres bisher besten Versuchs auf dem Tisch. Jetzt arbeiten sie daran, ihr eigenes Meisterwerk zu übertreffen. Das ist Millimeterarbeit.
Frederik Malmstedt aus Visby beugt sich konzentriert über die Arbeitsplatte. In der Hand hält er ein winziges skalpellartiges Messer, mit dem er kleine dreieckige Stücke aus einem Stück Pastete heraustrennt. Alle Teilchen müssen gleich lang und hoch sein, bilden sie doch später mit einigen kunstvoll gerollten Fleischstücken und winzigen Gemüseteilchen eine Vorspeisenplatte. Schon ein Millimeter zu viel oder zu wenig könnte den Gesamteindruck empfindlich stören. Wie viele seiner Kollegen misst auch Malmstedt mit Schublehre und Lineal immer wieder nach. Trotzdem: Eines der Teilchen ist ihm missraten, und das entgeht auch dem strengen Blick des Nationaltrainers nicht. Malmstedt muss nachbessern. Wieder setzt er das Messer an. Erst jetzt ist Krister Dahl zufrieden. Er sagt: »Das ist wie in jedem anderen Sport, ohne regelmäßiges Training und hohen Einsatz wird keiner Weltmeister.«
Mit Kochen im eigentlichen Sinne hat die kalte Küche nur wenig zu tun. Dabei handelt es sich eher um Kunsthandwerk mit Lebensmitteln. Damit die fertigen Speisen möglichst lang halten, werden sie glasiert. Dafür ist der Chef persönlich zuständig. Denn ein falscher Handgriff kann hier die Arbeit von Stunden, ja Tagen zunichte machen. Eine einzige Luftblase in der Glasur, und die Kreation wandert in den Mülleimer.
Dieses Schicksal bleibt dem Dessert von Carina Brydling erspart, es besteht den Schluss-Check durch den Nationaltrainer ohne Beanstandung und wird von dem auch gleich mit der schützenden Glasur überzogen.
Brydling ist neu im Team und nach ihrer Berufung in die Nationalmannschaft aus der kleinen mittelschwedischen Ortschaft Åre, wo sie ein Restaurant betrieb, nach Stockholm umgezogen. Dort arbeitet sie nun in einem Sternelokal. Wie im Fußball wechselt auch
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