Lesereise Schweiz
stillen Wassers einer bestimmten Marke und zehn Wassergläser vorfinden will. Oder die Gräfin, die im Bad die zwanzigfache Anzahl von Handtüchern und Vorlegern sowie fünf Paar Pantoffeln und zwei Verlängerungskabel mit vier Anschlüssen benötigt. »Manche Sachen müssen wir nicht verstehen«, sagt Samantha und lächelt weise. Es ist ein ganz normaler Donnerstagnachmittag in Lausanne-Ouchy.
Spa oder nicht Spa?
Hoteliers im Bad der Gefühle
Am Schönsten sind sie im Dunkeln. Um siebzehn Uhr haben sich die Spotlights automatisch eingeschaltet, die die baumhohen Fenster auf dem Dach der »Bergoase« von innen ausleuchten. Dann strahlen sie von draußen violett, gelb und mattweiß in den schwarzblauen Himmel über Weißhorn (2653 Meter), Hörnli (2512 Meter), Brüggerhorn (2447 Meter) und stolz aufgewachsenen Tannen. Im angenehm warmen Außenpool des Spas am Fuße der Aroser Bergwelt ist der Blick auf die neun glühenden Gipfelspitzen aus Stahl und Glas nicht zu toppen. Wasserdüsen massieren Schulterpartien, aufsteigender Dampf entführt die Sinne. Die Seele fühlt sich wie unter Segeln.
Segel? Kristalle? Kathedralenfenster? »Lichtbäume« nennt der Schweizer Stararchitekt Mario Botta sie, weil er bei den Dachluken für das noble Badehaus des Tschuggen Grand Hotels an die Arosatanne dachte. »Ich suchte einen regionalen Bezug, eine Metapher für die Natur«, sagt Botta. So entstand seine Interpretation der heimischen Bäume, ein Wald von Tannen, die Licht ins Berginnere transportieren. Oder umgekehrt: »Den Himmel von der Erde aus erkunden.«
Andere sehen auf dem Dach dagegen eher Segel, sozusagen als sphärische Verbindung zwischen Körper und Geist. Den Vergleich mit Federn findet eine Besucherin am Schönsten. Weil Federn sich so flauschig und sanft wie Wellness anfühlen. Aber auch dem Gedanken an Blätter oder etwas Gesundes wie Apfelspalten kann sie etwas abgewinnen. Die ausgefallene Konstruktion lässt Raum für Fantasie, und sie ist das Markenzeichen der luxuriösen Wohlfühlanlage geworden.
Bottas Werk wurde im Jahr 2006 nach dreijähriger Bauzeit eröffnet. Im Überschwang der Gefühle kursierten außer »Bergoase« bald zudem »Piz Botta«, »Botta-les-Bains« und »Bottanischer Garten« für die fünftausend Quadratmeter First-Class-Entspannung, die direkt in den Fels gebaut ist. »Die Bergwelt besitzt eine natürliche Kraft und Schönheit. Die wollte ich nicht stören«, erklärt der gebürtige Tessiner. »Bauen, ohne zu überbauen«, so lautet Bottas Motto. Obwohl sich der Badende im Berg befindet, bleibt der Dialog zur Außenwelt erhalten. Die »Lichtbäume« lenken das Sonnenlicht durch einen raffinierten offenen Terrassenbau. Überall ergeben sich reizvolle Durchblicke, die die Kontraste in den Innenräumen harmonisch zur Wirkung bringen: anthrazitfarbener Alpengranit, transparentes Glas und helles Ahornholz aus Kanada – naturbelassene Materialien, die aus Bottas Hang zur Einfachheit entspringen und die dem Bau seinen unverwechselbaren Charakter geben. »Außergewöhnliche Räume vermitteln außergewöhnliche emotionale Erlebnisse«, sagt der Architekt. Das lag ihm bei seinem ersten Spa besonders am Herzen.
»Spa oder nicht Spa?« Viele Gäste treffen so ihre Hotelwahl. Für manche Hoteliers heißt das »Sein oder nicht sein«! Heilbäder hatten vor allem in Graubünden eine lange Tradition, weshalb die Bündner die Anfang der neunziger Jahre heranrollende Wellness-Welle nicht beachteten. Zu spät sprangen die Schweizer Hotelbesitzer auf und registrierten schmerzhaft den Rückstand gegenüber der Konkurrenz aus Österreich. Wellness bedeutete Gäste, Umsatz und Prestige. Sauna, Whirlpool und Fitnessgerät reichten den meisten nicht mehr aus. Man suchte nach neuen Wohlfühldimensionen, und plötzlich rüsteten die Schweizer fast überall gleichzeitig auf. Auf zu neuen Sternen, und an Kühnheit und Millioneninvestitionen wurde nicht gespart. Man dachte an Wellnesstempel.
Erste vorsichtige Versuche auf dem neuen Terrain wagten Anfang der neunziger Jahre die Therme »Bogn Engiadina« in Scuol mit einem modernen irisch-römischen Bad sowie die erneuerte Mineralquelle in Andeer und die Schwefelquelle von Alvaneu. Den Startschuss ins innovative Zeitalter des Wellness-Designs gab jedoch 1996 Stararchitekt Peter Zumthor. Der gebürtige Basler setzte dem kleinen Bündner Dorf die aufregende »Therme Vals« hin, die einem den Atem verschlägt. Er verwandelte eine Kurhaus-Schwimmhalle der sechziger
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