Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
– »hätte«, wohlgemerkt, denn sie wurde niemals angegriffen und hat, von Übungszwecken abgesehen, in ihren wenigen aktiven Jahren nicht einen Schuss abgefeuert. Sie war nur zweiundzwanzig Jahre in Betrieb, dann stellte sich heraus, dass diese personalintensive Universalwaffe in eine Sackgasse hinein entwickelt worden war. Beinahe hundert Jahre lang musste sich der schwarze Krieger in britischen Versorgungshäfen rumschubsen lassen, ehe er für den Historic Dockyard wieder glanzvoll auferstehen konnte. So sind denn von der »Warrior« auch keine Heldentaten zu berichten, den einzigen Zusammenstoß erlebte sie versehentlich und ausgerechnet mit der » HMS Royal Oak«, bei welcher Gelegenheit sie ihre erste Gallionsfigur verlor. Sonst gibt es nichts an Anekdoten, zu ahnen ist nur die Berufsroutine der Friedenssicherung durch Kriegsbereitschaft: Die Männer waren alle freiwillig an Bord bei gutem Sold, Pensionsanspruch und warmem Mittagstisch. Und erstmals gab es Waschmaschinen für ein Schiff der Kriegsmarine.
Was einst mit Heinrichs »Mary Rose« begonnen hatte und seit Trafalgar möglich war, das wurde mit der Dienstzeit dieses Schiffes erst vollendet: Der Aufstieg Englands zum Imperium, die lange Zeit der Pax Britannica, der Pax Romana des Augustus nachgebildet. Es war ein Frieden in Waffen unter britischer Regie. Der alte Wunsch war Wirklichkeit geworden: »Rule, Britannia, Britannia rule the waves!«
Schon 1847 hatte Neptun nach dem Willen des Malers William Dyce die Krone seiner Seeherrschaft an Britannia übergeben. Wer von Portsmouth auf die Isle of Wight hinüberfährt, der kann in Osborne House, dem Sommersitz der Queen Victoria und ihres Gatten Albert, den Höhepunkt der englischen Geschichte als allegorisches Fresko studieren, so gut gemalt wie gut gemeint: ein nackter Neptun zügelt sein Gespann aus weißen Seepferden und übergibt die Krone durch Merkur, den Götterboten, an Britannia. Sie hat schon seinen Dreizack übernommen und streichelt mit der Linken den englischen Löwen, während Seefahrt, Industrie und Handel am Gestade ergriffen dieser Szene folgen.
Bei ihrem ersten Auftreten in einem Bildwerk, auf einer Messingmünze Kaiser Hadrians (117–138 nach Christus), war Britannia als Gefangene, auf einer Klippe stehend, abgebildet. Bei der Klippe blieb es, aber nicht mehr bei der Sklavin: 1740 gab der Prince of Wales, der spätere George III., ein Maskenspiel in Auftrag (»Alfred« von James Thomson, Musik von Dr. Arne), von dem die meisten Engländer bis heute noch zwei Zeilen kennen. »Rule, Britannia, Britannia rule the waves; Britons never, never, never will be slaves.«
Die Argumente dieser Zuversicht haben alle in Portsmouth vor Anker gelegen, und deshalb wünschte sich die Stadt, dass auch die königliche Jacht »Britannia« die Reihe der historic ships erweitern würde. Doch die ausgemusterte »Britannia« kam nach Edinburgh. In Portsmouth gibt es sie nur als Modell im Selbstbedienungsrestaurant Tradewinds des Historic Dockyard.
Als historic ship vom Baujahr 1953 wäre sie indes ein Hinweis darauf, dass in Portsmouth alles Große ein für alle Mal vergangen ist. Der größte Kriegshafen der Krone hat nach dem Ersten Weltkrieg noch fünfundzwanzigtausend Menschen mit Arbeit versorgt, nach dem Zweiten nur noch zweitausendachthundert. Seit auch der Kalte Krieg vorüber ist, träumt Portsmouth von der eigenen Vergangenheit und fürchtet die Statistik seiner Arbeitslosen wie der Träumer das Erwachen.
Nur einmal noch konnte die alte Kriegsmaschinerie den Rost von ihren Rädern klopfen: Das war im Frühjahr 1982, als hier an einem Wochenende ein ganzer Flottenverband zusammengestellt wurde, um die fernen Falklandinseln wieder an Britannias Rockzipfel zu binden. Damals dampfte auch H. M. Jacht »Britannia« achttausend Meilen weit bis in den Südatlantik, denn offiziell ist sie als Lazarettschiff registriert, auch wenn sie auf dem langen Marsch zu den Malvinen die erste war, die lahmte. Doch immerhin: Beim »Rule, Britannia!« dieses Wochenendes durfte sie nicht fehlen. Und den Auftrag, der sie alle einte, kannte jedermann seit 1805 und Nelson: »England expects that every man will do his duty.«
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