Lesley Pearse
triefend nass betraten, kam Sidney hinter der Bar hervorgelaufen. »Wo bist du gewesen, Matty?«, rief er aus, und auf seinem sonst so fröhlichen Gesicht zeichnete sich große Sorge ab. »Bist du verletzt? Was ist passiert? Wer ist das?«
Matilda erklärte schnell, wo sie beim Einsetzen des Regens gewesen war und wie der Captain mit seiner Truppe zufällig vorbeigeritten war und sie gerettet hatte. »Du erinnerst dich doch sicher an meine Erzählungen über Captain Russell, der meinen Treck begleitet hat?«, fuhr sie fort. »Ist es nicht seltsam, dass ausgerechnet er mich gefunden hat? Ich dachte, ich würde ihn nie wiedersehen.«
Noch während sie sprach, ging ihr auf, dass diese Erklärung vollkommen unwahrscheinlich klingen musste. Unter anderen Umständen hätte Sidney den Captain begeistert willkommen geheißen. Aber er war jetzt ein Mann und sah sich als Matildas Beschützer. Er hatte bei ihrem letzten Besuch in Oregon sicher auch Teile ihrer Gespräche mit Cissy über James mit angehört. Wer konnte es ihm verübeln, wenn er glaubte, ihr Treffen wäre verabredet gewesen?
Schnell nahm er Matilda den tropfenden Hut und den Mantel ab. »Dolores wartet immer noch mit dem Essen auf uns«, berichtete Sidney. »Ich konnte vor lauter Sorge nichts herunterbringen. Du hättest mir sagen sollen, wohin du gehst. Ich wusste nicht einmal, in welcher Richtung ich dich hätte suchen sollen.«
»Es tut mir so Leid«, versicherte Matilda und errötete unter Sidneys durchdringendem Blick. Wahrscheinlich war er noch nicht so reif, um zu durchschauen, dass ihre roten Wangen nicht vom Wind, sondern von der Leidenschaft herrührten, aber dennoch wollte sie sich seinem Blick am liebsten entziehen. »Nun, meinst du, du kannst ein wenig trockene Kleidung für den Captain finden? Nachdem er mich gerettet hat, schulden wir ihm wenigstens das und ein warmes Essen.«
»Gütiger Gott!«, rief Dolores, als Matilda das Wohnzimmer betrat.
»Mir geht es gut, ich bin nur nass geworden«, entgegnete Matilda mit fester Stimme. Sie wollte eine lange Moralpredigt um alles in der Welt vermeiden und erklärte, dass sie den Captain mit nach Hause gebracht hatte. »Ich nehme nur schnell ein Bad und ziehe mich um.«
»Zum Glück habe ich einen ganzen Haufen Hühnerschenkel gebraten«, sagte Dolores, legte ihre beiden großen Hände um Matildas Schultern und schob sie ins Bad. »Jetzt ziehen Sie aber erst mal die nassen Sachen aus. Ich bringe Ihnen einen heißen Brandy, das wird die Kälte vertreiben.«
Als Dolores gegangen war, um heißes Wasser in der Küche zu holen, zog Matilda sich schnell aus und wickelte sich in ihr Handtuch. Sie warf einen Blick in den Spiegel und grinste ihr schmutziges Gegenüber an. Das Haar klebte ihr am Kopf, aber ihre Wangen glühten, und ihre Augen funkelten.
»Du solltest dich schämen«, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu. Aber sie verspürte keine Scham. Sie fühlte sich großartig, schwindlig vor Glück, und ihr Inneres schien überzusprudeln.
Es würde sicher schwierig sein, Dolores etwas vorzumachen. Sie hatte ihr gesamtes Erwachsenenleben in einem Salon verbracht, und man konnte sie nur schwer täuschen. Aber dennoch hatte Matilda eine Stellung zu verteidigen, und dementsprechend schicklich hatte sie sich zu verhalten. Sie wollte Amelia bald nach San Francisco holen, und es wäre nicht gut, wenn die Kleine erfahren würde, dass ihre Mutter einen Liebhaber hatte.
Als Matilda frisch gebadet, in einem rosafarbenen Kleid und mit immer noch feuchtem Haar, das sie mit einem Band zusammengeschnürt hatte, das Wohnzimmer betrat, saßen Sidney und James plaudernd am Feuer, als würden sie sich bereits seit Jahren kennen.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Sidney und sprang auf.
»Besser denn je«, antwortete sie und bemühte sich, James nicht anzusehen. Der heiße Brandy mit Honig und Zitrone, den Dolores ihr eingeflößt hatte, war ihr direkt zu Kopf gestiegen, sodass sie sich wie ein albernes junges Mädchen fühlte. »Und wie geht es dir, James?«
»Deine Magd ist eine ganz schön gebieterische Frau«, er lachte. »Sie hat mir die Uniform aus der Hand gerissen, um sie zum Trocknen aufzuhängen, und mir nicht einmal meine Schuhe zurückgegeben.«
Matilda lächelte. Gewöhnlich aßen sie in der Küche zu Abend, aber während sie ihr Bad genommen hatte, hatte Dolores den Tisch im Wohnzimmer mit einer feinen Spitzendecke gedeckt und Zandras Silber aufgelegt. Der Grund hierfür könnten James’ Stellung und Rang
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