Lesley Pearse
Matilda die Aufregung in sich aufsteigen, denn die Kutschfahrt erinnerte sie an die Planwagenfahrt durch die Berge vor so vielen Jahren.
Der junge Soldat, der ihr gegenübersaß, musste ihr plötzliches Interesse bemerkt haben, denn er lehnte sich nach vorne. »Angst?«
Er war noch ein richtiger Junge, zwanzig vielleicht, bleich und mager, und das lockige blonde Haar fiel ihm in die Augen. Etwas an ihm berührte sie, und sie lächelte. »Nein, Angst habe ich nicht«, antwortete sie. »Ich vertraue dem Kutscher. Er ist hier sicher schon hundert Mal entlanggefahren.«
Es war seltsam, aber auf bestimmte Art und Weise munterte ihre eigene Bemerkung sie auf. Wenn sie dem Kutscher noch Vertrauen schenken konnte, würde sie vielleicht auch bald sich selbst wieder vertrauen können.
»Fahren Sie in Ihre Heimat zurück?«, fragte sie den Jungen.
Er nickte. »Meine Familie lebt in Sacramento. Ich hoffe bloß, dass sie nicht fortgezogen sind, ich habe schon seit zwei Jahren keinen Brief mehr von ihnen bekommen.«
»Sie werden da sein«, sagte sie beruhigend. »Wissen Ihre Eltern, dass Sie in Sicherheit sind?«
Er zuckte die Schultern, und diese kleine Geste brachte die gesamte Sinnlosigkeit und den Kummer des Krieges auf den Punkt. Briefe wurden geschrieben und erreichten nie ihr Ziel, zahllose Familien im ganzen Land hatten keine Ahnung, ob ihre Männer zu ihnen zurückkehren würden.
»Nun, morgen wird es eine glückliche Mutter in Sacramento geben«, bemerkte sie, und diesmal kam ihr Lächeln aus ihrem tiefsten Innern. »Und beeilen Sie sich, zu ihr zu gehen, trödeln Sie nicht auf dem Weg!«
Er lachte ein wenig verlegen. »Haben Sie auch Söhne, die zu Ihnen zurückkehren?«
»Nein, ich reise zu ihnen zurück«, erklärte sie und hörte sich erstaunt dabei zu, wie sie ihm alles von Peter und Sidney erzählte. »Ich glaube, sie hatten mehr Glück als die meisten«, endete sie schließlich. »Viele andere sind trotz schwerer Verletzungen wieder zum Kämpfen gezwungen worden.«
Sie fiel wieder in ihr früheres Schweigen zurück und sah aus dem Fenster, wobei sie versuchte, einen ersten Blick auf das Meer zu erhaschen, das sich bald zwischen den Bergen zeigen würde. Diese kurze Unterhaltung, die erste, die sie geführt hatte, seit sie aus Washington fortgegangen war, hatte sie erkennen lassen, wie sehr sie sich in Wirklichkeit auf zu Hause freute. Sicher würden ihre Wohnung und London Lil’s noch viele schmerzhafte Erinnerungen an James heraufbeschwören, aber mit ihrer Familie an ihrer Seite würde sie sie vielleicht überwinden können.
»Matty!«
Matilda stieg in San Francisco gerade aus der Kutsche, als sie Sidneys freudigen Ruf hörte. Sie sah ihn durch die Menschenmengen auf sich zustürmen, sein roter Haarschopf ein wahres Begrüßungsfeuer.
Er schloss sie in die Arme und hob sie hoch, wobei er sie fast zerdrückte. Plötzlich weinte Matilda.
»Oh, Matty«, seufzte er und gab ihr einen Kuss auf beide Wangen. »Es tut so gut, dich wieder zu Hause zu haben! Warum weinst du denn? Die Zeit der Tränen ist vorüber. Mary sagte, ich soll dich abholen und auf dem schnellsten Weg nach Hause bringen. Weißt du, sie putzt und wienert dir zu Ehren schon seit Tagen das Haus.«
Matilda legte ihre Hände um sein Gesicht und betrachtete ihn für einen Moment. Er schien so viel größer zu sein als in ihrer Erinnerung, sein Gesicht war rundlich geworden, und die Sommersprossen stachen nicht mehr so auffällig hervor. Vor drei Jahren war er in den Krieg gezogen, heute stand ein dreißigjähriger Mann vor ihr. Der Junge war für immer verschwunden. Aber sein Überschwang hatte sich nicht gelegt, und sie spürte, wie das Eis, das ihr Herz umfasst gehalten hatte, langsam auftaute.
»Ich liebe dich, Sidney«, erklärte sie einfach und legte ihren Kopf für einen Moment an seine breite Brust. »Ich bin so froh, wieder hier zu sein.«
Sie hatte erwartet, dass sich alles geändert hatte, aber das war nicht der Fall. In der Stadt tummelten sich immer noch Menschenmengen, und der Tumult, die Gerüche, die Musik und Fröhlichkeit waren unverändert geblieben. Ihr Einspänner, der einen frischen Anstrich erhalten hatte, wartete auf sie, und sogar die Stute Star wieherte einen Willkommensgruß, als sie ihre Herrin erkannte.
Als sie über den California Street Hill fuhren und Matilda London Lil’s auf dem Hügel erblickte, spürte sie einen Kloß im Hals. Die Farbe war verblichen und blätterte ab, die Fensterläden vor dem
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