Lesley Pearse
musst in der Mehrzahl sprechen«, meinte sie grinsend. »Ich habe mehrere Projekte in petto.«
Peter stöhnte. »Was kommt jetzt?«
»Ein Wohnheim für allein stehende, arbeitende Frauen«, berichtete sie. »Ein Fonds für die Witwen ehemaliger Militärangehöriger. Ein gemeinsamer Vorstoß, um die Barbary Coast von ihrem Übel zu bereinigen. Reicht das für den Anfang?«
Sidney kicherte. »Ich sorge also am besten dafür, dass dieser Laden hier einen Haufen Geld abwirft.«
»Und ich werde lernen, wie man es am besten verwaltet«, Peter lachte.
Matilda grinste. »Das sind meine Jungs!«, meinte sie. Dann legte sie ihre Hand sanft auf Marys Bauch, der sich langsam wölbte, und flüsterte: »Schau, dass du stark und clever wirst. Wir werden hier bald Verstärkung brauchen.«
27. K APITEL
New York 1900
A ls die Uhr auf dem Kaminsims sieben schlug, legte Tabitha ihr Buch auf den Schoß und seufzte tief.
Es war dunkel und sehr kalt draußen, und Matilda war immer noch nicht nach Hause gekommen. »Es ist wirklich nicht nett von dir, mir solche Sorgen zu bereiten«, bemerkte sie laut und lächelte dann schwach über ihre eigenen Worte. Obwohl Matildas Verhalten in der letzten Zeit etwas irritierend war, konnte Tabitha doch die lustigen Aspekte ihrer inzwischen vertauschten Rollen erkennen. Sie selbst hatte die Mutterrolle eingenommen, während Matty wieder zum Kind geworden war.
Über so viele Jahre hinweg war Matilda ihr immer um einiges älter erschienen als sie selbst. Sie war eine Erwachsene, solange sie selbst Kind gewesen war, eine reife Frau, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Aber eigentlich lagen zwischen ihnen nur vierzehn Jahre, ein kleiner Altersunterschied, wenn man selbst erst einmal sechzig war, drei erwachsene Kinder und fünf Enkelkinder hatte.
Tabitha stand auf und betrachtete sich im Spiegel über dem Kaminsims. Sie sah wirklich aus wie eine Großmutter, ihr früher dunkles Haar war schneeweiß geworden, und sie hatte zugenommen und Falten. Doch in vielerlei Hinsicht bevorzugte sie ihr jetziges Aussehen, denn während Patienten eine junge weibliche Ärztin misstrauisch beäugten, vertrauten sie jemandem in ihrem Alter. Ihr Geschlecht spielte keine so große Rolle mehr.
Sie lächelte sich selbst zu und stellte sich vor, wie diese Feststellung ihren Mann Sebastian amüsiert hätte. Als er sechzig geworden war, hatten sie das kleine Haus aus braunem Sandstein verkauft, das sie zu Beginn ihrer Ehe gekauft hatten, und waren in diese elegante, weitläufige Wohnung mit Blick über den Central Park gezogen. Ihm hatten die Treppen in ihrem früheren Haus zu schaffen gemacht, aber er hätte niemals zugegeben, dass dies der Grund für den Umzug gewesen war. Er hatte jedem erzählt, er wolle an einem Ort mit einem schönen Ausblick wohnen.
Vor zwei Jahren war er in seinem Lehnstuhl sanft entschlummert, während er den Blick auf den Park genossen hatte. Sie hatte gleich neben ihm am Feuer gesessen, und angenommen, er sei nur eingeschlafen. Erst als sie aufgestanden war, um die Gardinen vorzuziehen, hatte sie bemerkt, dass er gestorben war.
Sie vermisste ihn so sehr, seine freundliche Art, seine wunderschöne tiefe Stimme, seinen gesunden Menschenverstand und seine Diplomatie. In fünfundzwanzig Jahren Ehe hatten sie sich kaum einmal gestritten. Erhitzte Diskussionen hatte es sicherlich manchmal gegeben, aber sie waren meist nur durch unterschiedliche Ansichten über medizinische Probleme, Politik oder Religion entstanden, persönliche Unstimmigkeiten hatte es nie gegeben. Außerdem hatte Sebastian immer verstanden, dass sie ihren Beruf ausüben wollte. So vielen anderen Menschen leuchtete es nicht ein, dass Frauen genauso qualifiziert waren wie Männer.
Tabitha war in ihrem Leben dieser Diskriminierung sehr häufig begegnet. Nach dem Krieg war sie nach Ohio zurückgekehrt, um ihr Studium wieder aufzunehmen. Sie brannte damals darauf, ihren Abschluss zu machen, um das Leiden zu mindern, das um sie herum allgegenwärtig war. Sie bestand ihre Prüfungen mit Bravour, aber es dauerte nicht lange, bis sie erkennen musste, dass ein Examen ihr nicht notwendigerweise auch ermöglichte, in diesem Berufsfeld zu arbeiten. Sie bewarb sich bei nahezu jedem Krankenhaus in Nordamerika, aber auf Grund ihres Geschlechts lehnten alle sie ab.
Es war Matilda, die sie schließlich überredete, zu ihr nach San Francisco zu ziehen. Dank ihrer Unterstützung und ihres Einflusses war es Tabitha bald möglich, eine
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