Letale Dosis
dir keinen dicken Kopf. Du schaffst das schon.«
»Tja, ich denke, ich werde es schaffen. Ich schaffe doch alles, ich bin schließlich eine sehr, sehr starke Frau!« sagte sie mit einem Anflug von Sarkasmus. »Mach’s gut und bis nachher.«
Sie ging langsam nach oben, schloß auf, lehnte sich von innen gegen die Tür. Übelkeit, Stiche in der linken Schläfe. Ihr war zum Heulen zumute, doch sie konnte nicht weinen, nicht richtig weinen. Dabei hätte sie am liebsten laut geschrien, um sich geschlagen, sich ihre ganze Wut und ihren Frust von der Seele gebrüllt. Statt dessen fühlte sie sich nur leer und ausgebrannt, gedemütigt und mißbraucht. Sie setzte sich aufs Sofa, hörte Musik, rauchte und trank Bier. Sie dachte daran, ihren Vater anzurufen, sah zur Uhr – halb zwei – schüttelte den Kopf. Sie war verzweifelt. Irgendwann in dieser Nacht fielen ihr die Augen zu, und als sie um acht Uhr wach wurde, schmerzte ihr Rücken von der unnatürlichen Lage, die sie auf dem unbequemen Sofa eingenommen hatte. Sie rief im Präsidium an, sagte, sie würde heute eine Stunde später kommen.
Sonntag, 23.20 Uhr
Sie hatte vor dem Hotel Intercontinental angehalten, war in die Bar gegangen, hatte zwei Martinis getrunken, drei Zigaretten geraucht, nachgedacht. Sie fühlte sich elend, nicht allein wegen dem, was sie getan hatte, sondern weil sie wußte, daß sie etwas in Bewegung gesetzt hatte, das nicht mehr aufzuhalten war. Und sie fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie in Verdacht geriet, bis man ihr Leben durchforsten und auf einige Ungereimtheiten stoßen würde.
Ein junger Mann von etwa dreißig Jahren mit langen, blonden Haaren, Designerjeans und italienischen Schuhen setzte sich neben sie, betrachtete sie eine Weile wortlos. Sie sah ihn kurz an, lächelte. Er fragte, ob er ihr etwas zu trinken bestellen dürfe, sienickte nur. Sie unterhielten sich eine halbe Stunde lang über Belanglosigkeiten, tranken und rauchten, und irgendwann fragte der junge Mann, ob sie Lust hätte, mit zu ihm nach Hause zu kommen.
»Bist du immer so direkt?« fragte sie.
»In der Regel schon. Ich lebe nach dem Motto, das Leben ist zu kurz, um sich die guten Gelegenheiten entgehen zu lassen. Ich verspreche auch, mich danach nie wieder bei dir zu melden.«
»Okay. Aber du erfährst weder meinen Namen noch meine Adresse. Und ich will auch nichts von dir wissen. Das ist die Bedingung. Und wir fahren nicht zu dir nach Hause, sondern nehmen uns hier ein Hotelzimmer.«
»Einverstanden.«
Sie standen auf, er zahlte, fuhr mit dem Aufzug nach unten, kam wenige Minuten später mit dem Zimmerschlüssel zurück. Er ließ eine Flasche Champagner und etwas zu essen aufs Zimmer kommen. Sie blieb bis um kurz nach drei, kleidete sich an, verließ die elegante Suite, während er schlief. Er war ein passabler Liebhaber, doch nicht zu vergleichen mit Petrol. Petrol war einzigartig gewesen, etwas ganz Besonderes. Sie wußte, sie würde nie wieder jemanden wie ihn finden.
Als sie um halb vier vor ihrem Haus hielt, blieb sie noch einen Moment im Wagen sitzen, legte den Kopf aufs Lenkrad, schloß die Augen. Nach wenigen Minuten stieg sie aus, ging ins Haus, entkleidete sich und legte sich ins Bett. Sie stellte sich den Wecker für acht Uhr. Sie brauchte nicht viel Schlaf, selten, daß sie länger als fünf Stunden schlief. Sie schlief tief und traumlos.
Montag, 9.10 Uhr
Die Beamten der Mordkommission waren, bis auf Kullmer und zwei andere Kollegen, alle schon im Büro, als Julia Durant hereinkam.Sie murmelte ein »Guten Morgen«, hängte ihre Tasche über die Stuhllehne, setzte sich. Sie fühlte sich wie gerädert, ihr war noch immer zum Heulen zumute, am liebsten wäre sie zu Hause geblieben. Sie steckte sich eine Gauloise an, inhalierte tief, ließ den Rauch lange in den Lungen, bevor sie ihn wieder ausstieß.
»Kollege Hellmer hat uns bereits informiert, was letzte Nacht los war. Ich würde gern noch Ihre Version hören«, sagte Berger, der sich zurückgelehnt hatte, die Hände über dem gewaltigen Bauch verschränkt.
Wenn du so weitermachst,
dachte sie,
wirst du eines Tages noch platzen.
»Ich habe auch keine andere Version als die, die Sie bereits kennen. Was genau wollen Sie wissen?«
»Sie sind angerufen worden?«
»Angerufen ist gut«, sagte sie und verzog die Mundwinkel. »Natürlich wurde ich angerufen, aber der- oder diejenige hat nur gesagt, daß Petrol tot sei. Das war’s.«
»Wieso der- oder diejenige?« fragte Berger. »War
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