Letale Dosis
Herr Jung hatte einen cleveren Anwalt, nämlich Dr. Fink, der es schaffte, daß Jung das Sorgerecht zugesprochen bekam. Frau Jung ist dadurch in ein unendlich tiefes Loch gefallen, sie hat angefangen zu trinken, und einmal war sie sogar so betrunken, daß sie auf demHeimweg von einem Lokal beinahe von einem Auto überfahren worden wäre. Die Polizei hat sie daraufhin auf eigenen Wunsch zur Entgiftung in eine Klinik gebracht, wo ihr von einem Psychologen nahegelegt wurde, eine Therapie zu machen. Sie kam zu mir, wir haben über ihre Vergangenheit gesprochen, über ihre Ängste und das, was ihr widerfahren war. Und es war, aus meiner Sicht gesehen, eine erfolgreiche Therapie. Soweit ich gehört habe, geht es ihr wieder gut.«
»Sie sagen, sie wurde in eine Klinik eingeliefert. In welche?«
»Nun, es gibt im Prinzip für den westlichen Teil Frankfurts und den gesamten Main-Taunus-Kreis nur eine Klinik, wo man entgiften kann, und das ist das St. Valentius Krankenhaus.«
»St. Valentius?« fragte Durant. »Wann war Frau Jung dort?«
Sabine Reich überlegte, sagte dann: »Kurz nach der Scheidung. Ich würde sagen, etwa vor vier Jahren, plus minus einem halben Jahr.«
»Und wenn man dorthin geht, wie lange bleiben die Patienten in der Regel zur Entgiftung?«
»Es kommt drauf an. Wenn man freiwillig kommt, kann man unter Umständen schon nach zwei oder drei Tagen wieder nach Hause. Es gibt allerdings auch Fälle, denen ein richterlicher Beschluß zugrunde liegt, und dann kann es bis zu drei Monaten dauern, bis man wieder rauskommt. Es hängt wie gesagt vom Patienten ab, ob er freiwillig unterschreibt oder ob er sich gegen eine Aufnahme wehrt und dann wegen Selbstgefährdung oder Gefährdung anderer einen Beschluß bekommt. Frau Jung war freiwillig dort, sie hat unterschrieben, ihre Tage dort abgesessen und ist wieder nach Hause gegangen. Aber, um das zu Ende zu bringen, sie leidet meiner Meinung nach noch immer sehr unter der Trennung von ihrer Tochter. Sie hat nie begriffen und wird es wohl auch nie begreifen, weshalb ihr Mann darauf bestanden hat, das Sorgerecht zu bekommen, wo er doch gar nicht der leibliche Vater ist. Das scheint der Auslöser dafür gewesen zu sein, daß sieeinen unbändigen Haß gegen ihn und alle Männer entwickelt hat, die für diese ungerechten Gesetze verantwortlich sind.«
»Und sie hat den Namen des leiblichen Vaters nie erwähnt?«
»Nein, zu keiner Zeit. Sosehr sie sich mir auch geöffnet hat, dieses Geheimnis hat sie für sich behalten.«
Julia Durant atmete tief durch, steckte sich eine Zigarette an, sah Sabine Reich nachdenklich an. »Vielen Dank, Frau Reich, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben. Ich glaube, Sie haben mir sehr geholfen. Ich hoffe, ich kann mich bei Gelegenheit revanchieren. Ich muß jetzt aber leider los, im Präsidium wartet eine Menge Arbeit auf mich. Aber ich würde mich freuen, wenn wir uns irgendwann einmal wieder treffen könnten. Dann vielleicht unter etwas anderen Umständen.«
»Gern«, sagte Sabine Reich und schob den Teller beiseite. »Es ist für mich mal etwas anderes, mit jemandem von der Kriminalpolizei zu tun zu haben. Rufen Sie mich einfach an, wenn Ihnen danach ist … Sie sehen übrigens nicht gerade aus wie ein … Bulle. Ich finde Sie sympathisch, wenn ich das sagen darf.«
»Danke. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Meine Telefonnummer haben Sie ja, oder?«
»Ja, ich denke schon«, erwiderte Sabine Reich. »Sie wird irgendwo im Büro sein. Aber vielleicht geben Sie sie mir noch einmal. Und diesmal stecke ich sie in meine Handtasche.«
Die beiden Frauen erhoben sich gleichzeitig, reichten sich die Hand. »War nett, mit Ihnen zu plaudern. Bis bald«, sagte Julia Durant, ging zum Kellner und zahlte. In ihrem Wagen dachte sie über die vergangene Stunde nach. Wenn das stimmte, was Sabine Reich ihr eben erzählt hatte, dann gab es eine Verdächtige, und vielleicht schon bald eine Verhaftung.
Sie fuhr zurück zum Präsidium.
Rita Jung
, dachte sie während der Fahrt,
Rita Jung.
Sie überlegte, ob sie am Nachmittag bei Vivienne Schönau oder in der St. Valentius Klinik vorbeischauen sollte. Sie schüttelte den Kopf, dachte: Es kommt sowieso andersals geplant. Als sie auf den Präsidiumshof fuhr, hörte der Regen auf und die Wolkenlücken wurden immer größer.
Montag, 14.15 Uhr
Hellmer saß am Computer und telefonierte, während er an einem Bericht tippte. Eine Zigarette glimmte im Aschenbecher vor sich hin. Berger war nicht im Büro, die
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