Letale Dosis
diese Ehrentraut besucht. Angeblich sind die beiden verwandt, Tante und Nichte. Bin gespannt, was die Nachforschungen unserer Kollegen ergeben haben.«
»Das geht dir ganz schön an die Nieren, oder?« sagte Hellmer. Er hatte Mitleid mit Julia Durant, die in den letzten Tagen eine Menge durchgemacht hatte. Sie verzog den Mund zu einem verkniffenen Lächeln und stand auf. »Ach was, was soll mir schon an die Nieren gehen. Sie war mir nun mal vom ersten Augenblick an sympathisch«, sagte Durant. »Und irgendwie wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie mit diesen Morden in Verbindung zu bringen. Aber noch ist es nicht soweit. Ihre Besuche hier beweisen noch überhaupt nichts.«
»Aber Petrol hat hier gearbeitet, wahrscheinlich haben sie sich sogar hier kennengelernt. Es macht auf einmal alles Sinn.«
»Und warum hat sie die Männer umgebracht?« fragte Durant und steckte sich eine weitere Gauloise an, während sie zum Wagen liefen.
»Keine Ahnung, aber wir werden es herausfinden. Kommt, laßt uns fahren, es wartet noch eine Menge Arbeit auf uns.«
Dienstag, 13.10 Uhr
Präsidium. Besprechung.
Durant berichtete von ihrem Besuch im St. Valentius Krankenhaus. Als sie geendet hatte, sagte Berger mit ernster Miene: »Gut, ich habe ebenfalls Neuigkeiten für Sie. Sabine Reich wurde am 1.11.64 in Wiesbaden geboren. Direkt nach ihrer Geburt kam sie in ein katholisches Waisenhaus, das ›Haus der lieben Mutter Maria‹. Mit zwölf wurde sie von Hermann und Renate Reich adoptiert, einem sehr wohlhabenden Unternehmerehepaar. Sie wuchs bei ihnen auf, machte mit neunzehn ihr Abitur, studierte anschließend Psychologie, arbeitete danach zwei Jahre in einer Gemeinschaftspraxis, bis sie sich mit sechsundzwanzig selbständig machte. Sie betreibt seit acht Jahren eine Praxis hier in Höchst, ihre Spezialgebiete sind Psychoanalyse, Einzel- und Gruppentherapie sowie Hypnosetherapie. Diese Informationen haben wir von ihrer Adoptivmutter, der Adoptivvater ist vor vier Jahren an Krebs gestorben. Den Namen ihrer leiblichen Mutter haben wir nach endlosen Telefonaten herausgefunden – und jetzt halten Sie sich fest, es ist Erika Ehrentraut, die Frau, die Sie in der Klinik gesehen haben. Der Name des leiblichen Vaters ist unbekannt. Seit vier Jahren ist die Reich Mitglied der
Kirche des Elohim
.
Jetzt zu Petrol. Sie wollten ja alle Daten haben, hier sind sie. Geboren am 3.4.56 in Karlsruhe. Eine Schwester, verheiratet, drei Kinder. Das Foto, das Kullmer gestern mitgebracht hat, zeigt diese Schwester und ihre Kinder. Er wohnte seit 1992 in Eltville, hat aber seit ’96 eine Wohnung in Frankfurt. Seine Eltern kamen vor elf Jahren bei einem Autounfall ums Leben und hinterließen ihm und seiner Schwester ein nicht unbeträchtliches Vermögen; deshalb konnte er sich wahrscheinlich auch diese Luxuswohnung leisten. Ein paar der Hausbewohner wurden befragt, aber keiner konnte sich an Sabine Reich erinnern.« Ermachte eine Pause, zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück. Es herrschte absolute Stille im Raum, man hätte eine Stecknadel fallen hören. Berger ließ seinen Blick in die Runde schweifen, sagte, an Durant gewandt: »Und jetzt? Welche Theorie haben Sie? Ich sehe es Ihnen doch an, daß in Ihrem Kopf etwas vorgeht.«
»Ja«, erwiderte sie zögernd, »allmählich fängt das Puzzle an zusammenzupassen. Also, Erika Ehrentraut wurde mit siebzehn schwanger, von wem, wissen wir nicht. Sabine Reich beziehungsweise Ehrentraut wurde in ein Waisenhaus gegeben, in dem sie zwölf Jahre zubrachte. Irgendwann fing sie an, nach ihren leiblichen Eltern zu suchen und fand schließlich ihre Mutter. Doch die war längst ein körperliches und geistiges Wrack, vermutlich hatte sie da schon längst vergessen, daß sie einmal schwanger war und ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. Als ausgebildete Psychologin wußte Sabine Reich natürlich um den Zustand ihrer Mutter. Sie brachte sie ins Krankenhaus, wohl in der Hoffnung, daß ihr dort geholfen werden könnte. Allerdings war es da für Hilfe schon längst zu spät. Als sie erfuhr, daß ihrer Mutter nicht mehr zu helfen war, keimte in ihr der Gedanke, Rache zu üben, weil sie vielleicht spürte, daß die Alkohol- und Tablettensucht ihrer Mutter nicht von ungefähr kamen. Wer weiß, aber womöglich fand sie einen Hinweis auf ihren leiblichen Vater. Sie schloß sich dieser Kirche an, weil eben genau dort ihr Vater zu finden war. Nur, sie gab sich nicht zu erkennen, wollte wohl erst einmal ausloten, mit
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