Letale Dosis
ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. Meine Devise lautete immer, nie über das Leben anderer nachzudenken oder gar darin rumzupfuschen. Diese Bank ist mein Arbeitsplatz und meine Aufgabe war es stets, meinem Vorgesetzten gegenüber loyal zu sein. Sobald ich abends mein Büro verlasse und nach Hause fahre, existiert die Bank nicht mehr, sondern nur noch meine Familie. Ich denke, ich habe mir dadurch eine Menge Ärger erspart.«
»Da mögen Sie recht haben. Sagen Sie, Dr. Schönau hielt sich doch oft noch im Büro auf, wenn außer dem Pförtner keiner mehr im Haus war. Wenn ein Besucher kam und derjenige nicht vom Pförtner gesehen werden wollte, gab es dann eine Möglichkeit, auf andere Weise ins Haus zu gelangen?«
»Es gibt einen Hintereingang, an dem sich eine Klingel befindet, die zu einer Sprechanlage in Dr. Schönaus Büro führt. Ich bin sicher, daß es den einen oder anderen Besucher gab, der diesen Weg wählte, aus welchen Gründen auch immer. Wozu sonst hätte es diesen Hintereingang geben sollen?«
Julia Durant erhob sich, reichte Frau Bergmann die Hand. »Ich bedanke mich für Ihre Zeit, und sollten wir noch Fragen haben, werden wir uns an Sie wenden. Auf Wiedersehen.«
Julia Durant trat aus dem Büro auf den Flur, wo Hellmer und Kullmer standen und sich unterhielten. Sie stellte sich zu ihnen, sagte: »Und, wie weit seid ihr?«
»Bis jetzt bei etwa zwanzig. Und du«, sagte Hellmer, »hast du aus der Jung noch was rausgekriegt?«
»Aus ihr selber nicht viel, aber dafür aus Frau Bergmann. Aber laßt uns nicht hier darüber sprechen. Außerdem muß ich gleich wieder weg, noch mal zu Laura Fink. Sie hatte vorhin kaum Zeit, und ich soll um halb eins wiederkommen. Irgend etwas stimmt mit ihr nicht, doch ich komme noch nicht drauf, was es sein könnte. Aber laßt uns doch kurz draußen besprechen, was ihr so rausgefunden habt.«
Sie liefen die zwei Stockwerke nach unten, kamen am Pförtner vorbei und traten auf die Straße. Hellmer und Durant zündeten sich jeder eine Zigarette an.
»So, dann mal los, ich habe nicht viel Zeit. Was habt ihr für mich?«
»Es ist komisch«, sagte Kullmer, der einen Kaugummi zwischen den Zähnen bearbeitete, »aber hier ist es nicht viel anders als bei Rosenzweig. So richtig leiden mochte Schönau keiner. Aber Hinweise auf irgendwelche Motive – Fehlanzeige.« Er zuckte die Schultern, spuckte den Kaugummi auf den Bürgersteig.
Julia Durant wollte gerade etwas sagen, als ihr Handy klingelte. Sie meldete sich, Berger war am Apparat.
»Ich wollte nur kurz fragen, wie es bei Ihnen läuft? Wo sind Sie jetzt?«
»Ich bin bei Hellmer und Kullmer in der Bank. Ich muß aber gleich weiter zu Dr. Fink. Sie hatte vorhin Sprechstunde und kaum Zeit.«
»Weswegen ich anrufe – Bock hat die Leiche von Rosenzweiguntersucht und gesagt, es deute im Moment alles darauf hin, daß auch Rosenzweig vor seinem Tod noch einmal sexuellen Kontakt hatte. Seine Leute haben wie bei Schönau Spuren von einem Lappen identifiziert.«
»Aber sonst nichts?«
»Doch, Scheidensekret und recht eindeutige Spuren, die auf Analverkehr hinweisen.«
»Dann sollten wir diese Jessica Wagner fragen, welche Art von Verkehr sie mit Rosenzweig hatte und ob sie ihm hinterher den Schniedel mit einem Lappen abgewischt hat. Ich werde das nachher erledigen, wenn ich bei Fink fertig bin.«
Julia Durant behielt das Handy in der Hand, nahm einen weiteren Zug an der Zigarette, warf sie dann auf die Straße.
»Das war der Chef. Könnte sein, daß Rosenzweig am Montag nicht nur mit seiner Angestellten, sondern auch noch mit jemand anderem gebumst hat. Ich werde auf jeden Fall später die Wagner fragen, welche Sexualpraktiken sie und Rosenzweig bevorzugt haben. Und ob danach ein Waschlappen zum Einsatz gekommen ist.«
»Kann ich das nicht machen?« fragte Kullmer grinsend. »Ich würde zu gerne wissen, was für Vorlieben die Kleine hat.«
»Ihnen wird sie’s auch gerade erzählen. Nee, nee, Sie kommen mir da bloß auf dumme Gedanken«, erwiderte Julia Durant ebenfalls grinsend. »Außerdem, mir klingt da immer noch was von einer festen Beziehung in den Ohren.«
»Na und? Man kann sich doch wenigstens mal Anregungen holen. Aber bitte, vielleicht brauchen Sie’s ja nötiger.«
»Kaum, Herr Kullmer. Ich bin zufrieden, wie es ist.«
»Zufriedenheit ist immer der Tod einer Beziehung.«
»Ich bin zufrieden«, warf Hellmer grinsend ein und steckte sich eine weitere Zigarette an. »Ich bin sogar sehr zufrieden, und
Weitere Kostenlose Bücher