Letale Dosis
Schönau getötet hat. Und vielleicht können Sie mir helfen, ein wenig Licht in das Dunkel um seinen Tod zu bringen. Sie sind, oder besser gesagt, waren seine Sekretärin. Erzählen Sie mir doch bitte, wie sich der gestrige Tag abgespielt hat. Ist irgend etwas Außergewöhnliches passiert, ich meine, abgesehen von seinem Geburtstag? Hat jemand angerufen und wollte Ihren Chef sprechen, hat aber seinen Namen nicht genannt? Erzählen Sie mir einfach von gestern.«
Frau Bergmann senkte den Kopf, blickte auf ihre Hände, überlegte. Sie sagte: »Ich kam morgens um halb acht ins Büro, Dr. Schönau war bereits da. Er ist meistens schon gegen sieben gekommen und selten vor halb sechs oder sechs gegangen. Es war ein ganz normaler Morgen, er hat etwas blaß ausgesehen, ich glaube, sein Herz hat ihm wieder zu schaffen gemacht. Die Belegschaft hat ihm zum fünfzigsten gratuliert, einige Boten haben Geschenke von Geschäftsfreunden gebracht, meist Blumen. Er hat mich gebeten, sie gleich aus dem Zimmer zu entfernen, weil Dr. Schönau Blumen nicht ausstehen konnte. Um zwölf ist er essen gegangen, um eins war eine etwa einstündige Aufsichtsratssitzung, ab kurz nach zwei hielt er sich in seinem Büro auf, bis ich gegangen bin.«
»Irgendwelche ungewöhnlichen Anrufe?«
»Nein, zumindest nicht über meine Leitung. Sie müssen wissen, Dr. Schönau hatte einen separaten Anschluß, der seiner Familie und ein paar auserwählten Personen vorbehalten war. Nicht einmal ich kenne die Nummer, obgleich ich schon seit fast dreißig Jahren hier arbeite, länger als Dr. Schönau selbst. Sein Vater war mein erster Chef, müssen Sie wissen. Ein herzensguter, liebenswürdiger Mann. Dr. Schönau hat leider nicht viel von ihm geerbt.«
»Das hört sich nicht sehr schmeichelhaft an. Wie war Dr. Schönau denn so?«
»Ach, wissen Sie, ich will nicht schlecht über einen Toten sprechen, und außerdem, er war kein schlechter Mensch, es kam mir nur manchmal vor, als würde ihn das, was er hier tat, nicht sonderlich glücklich machen. Ich glaube, das war auch der Grund für seine Krankheit. Wenn man so lange mit einem Menschen zusammenarbeitet, lernt man alle Seiten von ihm kennen. Ich hatte immer das Gefühl, daß diese Bank und dieser Beruf nicht das waren, was er sich vom Leben erhofft hatte. Und jetzt ist er tot.«
»Was glauben Sie denn, was er sich vom Leben erhoffte?«
»Er hat nie darüber gesprochen, ich habe es nur gefühlt. Irgendwie war er ein einsamer Mann, ständig auf der Suche nach irgend etwas, das er letztendlich doch nicht fand. Ich hoffe, Sie verstehen mich, ich kann es einfach nicht besser ausdrücken.«
»Ich verstehe Sie schon, Frau Bergmann. Darf ich Ihnen eine ganz persönliche Frage stellen, mit der Bitte, sie absolut vertraulich zu behandeln?«
»Fragen Sie ruhig.«
»Ich habe mich, bevor ich zu Ihnen kam, mit Frau Jung unterhalten. Gab es zwischen Ihrem Chef und Frau Jung Differenzen?«
Zum ersten Mal während des Gesprächs überzog ein leichtes Lächeln das Gesicht von Frau Bergmann. Sie nickte. »Differenzen? Ja, vielleicht. Aber ich möchte mir nicht den Mund verbrennen und etwas sagen, was ich später vielleicht bereue …«
»Sie brauchen keine Angst zu haben, von mir erfährt kein Mensch auch nur das geringste von dem, was Sie mir anvertrauen. Sie könnten mir jedoch unter Umständen helfen, etwas klarer zu sehen.«
Frau Bergmann zögerte, stand auf, öffnete die Tür zu Schönaus Büro, blickte hinein. Sie sagte: »Wenn Sie mit Frau Jung gesprochen haben und eine einigermaßen gute Menschenkenntnis besitzen, dann werden Sie sicherlich bemerkt haben, daß sie mehr mit dem Körper als mit dem Mund redet. Sie ist eine ausgesprochenattraktive Frau, die an jedem Finger zehn Männer haben könnte …«
»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte die Kommissarin interessiert. »Hatte sie vielleicht ein Verhältnis mit Schönau?«
»Kommen Sie immer so direkt auf den Punkt? Aber gut, es wird hier und da gemunkelt, die beiden hätten etwas miteinander gehabt. Das liegt allerdings schon mehr als zehn Jahre zurück. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es sind wie gesagt Gerüchte. Ich weiß nur, daß das Verhältnis zwischen Dr. Schönau und Frau Jung seitdem etwas angespannt war.«
»Etwas?«
»Mal mehr, mal weniger.«
»Verstehe. Aber es heißt auch, in jedem Gerücht steckt ein Körnchen Wahrheit. Könnten Sie sich denn vorstellen, daß Dr. Schönau und Frau Jung ein Verhältnis hatten?«
»Ob Sie es glauben oder nicht,
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