Letale Dosis
Klingelknopf. Der Summer war kaum zu hören, die Kommissarin drückte das Tor auf. Sie stieg die vier Stufen zur Eingangstür hoch, die sie jetzt ebenfalls nur aufzudrücken brauchte. Laura Fink kam auf sie zu, bat sie, ihr nach oben in die Wohnung zu folgen. Sie machte ein ernstes, besorgtes Gesicht.
»Kommen Sie bitte mit ins Wohnzimmer, ich möchte Ihnen meinen Vater vorstellen. Er ist vor ein paar Minuten gekommen; er ist ziemlich aufgeregt, und …«, sie zuckte die Schultern, »seien Sie vorsichtig, was Sie sagen, seine Nerven liegen ziemlich blank.« Sie betraten das geräumige, im Laura-Ashley-Stil eingerichtete Zimmer, in dem zarte Pastellfarben dominierten.
»Vater, das ist Hauptkommissarin Durant von der Polizei. Zeig ihr, was du bekommen hast.«
Der grauhaarige, großgewachsene, asketisch wirkende Mann erhob sich und blickte die Kommissarin aus stahlblauen Augen an. Er trug einen dunkelblauen Sommeranzug, ein weißes Hemd mit Krawatte und bordeauxrote Schuhe. Er reichte ihr die Hand, sein Händedruck war kräftig, aber nicht unangenehm, seine Ausstrahlung war die eines Geschäftsmannes. Durant hatte viele davon kennengelernt, seit sie bei der Polizei arbeitete, erfolgsverwöhnt, unnachgiebig, hart. Er stellte sich vor: »Karl-Heinz Fink, ich bin, wie Sie bereits gehört haben, der Vater von Frau Dr. Fink. Meine Tochter hat mir eben erzählt, daß Sie die Fälle Rosenzweig und Schönau bearbeiten. Hier, das lag vorhin in meinem Briefkasten.« Er hielt einen Zettel in der Hand, den er Durant gab.
Hallo, Hirte,
wie geht es Dir, nachdem Deine beiden treuen Kumpane so mir nichts, dir nichts ins Jenseits abgehauen sind? Schlecht? Es ist jammerschade, wie schnell und wie grausam das Leben zu Ende gehen kann, findest Du nicht? Und mit einem Mal fragt man sich, wer wird wohl der nächste sein? Stellst Du Dir diese Frage inzwischen auch schon? Oder kennst Du die Antwort bereits? Ich kenne sie, aber ich würfele noch. Es gibt so viele Namen, mal sehen, auf welchen der Würfel fällt. Ach ja, Dein Name – steht er auf meiner Liste oder nicht? Was glaubst Du? Es ist übrigens sehr heiß zur Zeit. Du hast doch, soweit ich weiß, in Deinem Haus eine funktionierende Klimaanlage. An Deiner Stelle würde ich sie in nächster Zeit Tag und Nacht laufen und die Fenster nicht zu weit offenstehen lassen, es gibt viel giftiges Getier, das ständig auf der Lauer liegt, große Beute zu machen.
Aber für heute soll’s das gewesen sein. Ich wünsche Dir undDeiner Familie einen guten und erholsamen Schlaf. Adieu und bis bald.
Jemand, der Dich nie vergessen hat und den Du nie vergessen wirst
.
»Das lag also in Ihrem Briefkasten. Kam das Schreiben mit normaler Post, oder hat es jemand eingeworfen?«
»Nein«, sagte Fink und schüttelte den Kopf, »es kam mit der Post. Was hat das zu bedeuten?«
»Die Frage kann ich nicht beantworten. Was meinen Sie denn?«
»Ich bin in Gefahr, das steht doch hier schwarz auf weiß. Irgendein Verrückter will mich auf die gleiche Weise beseitigen wie Schönau und Rosenzweig«, sagte er mit bebender Stimme und angstvollem Blick. »Was können Sie dagegen tun? Ich brauche doch Polizeischutz!«
Julia Durant setzte sich unaufgefordert in einen Sessel, legte einen Finger auf den Mund, sah Fink an, sagte kühl: »Wie stellen Sie sich Polizeischutz vor? Daß Sie rund um die Uhr bewacht werden? … Sogar wenn Sie auf die Toilette gehen? … Tut mir leid, das wird nicht möglich sein. Wir können zwei Beamte vor Ihrem Haus postieren, mehr können wir nicht tun.«
»Du meine Güte, jemand hat es auf mich abgesehen, ich kann es nicht fassen! Ich kann es einfach nicht fassen! Und Sie sagen, Sie können nichts weiter tun, als zwei Beamte vor meinem Haus zu postieren! Was hätte das denn Rosenzweig genützt, oder Schönau, wenn nur das Haus bewacht worden wäre?! Nichts, gar nichts! Der Mörder arbeitet wie ein Phantom«, sagte er mit vor Erregung gerötetem Gesicht. »Soll ich mir jetzt vielleicht Bodyguards zulegen?«
»Es liegt an Ihnen, ob Sie das möchten oder nicht. Wir können Personenschutz nur bedingt zur Verfügung stellen. Außerdem sagt dieser Brief noch gar nichts aus. Es gibt Menschen, die es lieben, makabre Scherze zu machen, vor allem nach solchen Verbrechen.Wenn Sie wirklich in Gefahr wären, dann glaube ich kaum, daß Sie einen Brief erhalten hätten. Weder Rosenzweig noch Schönau sind vorgewarnt worden, zumindest wissen wir nichts davon. Ich weiß jedoch aus Erfahrung,
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