Letzte Ausfahrt Neckartal
hatte, stand auf. So rasch wie möglich wollte er die lästige Zusammenkunft hinter sich lassen, doch Winkler stellte sich ihm in den Weg.
»Ich will mich bei dir entschuldigen«, sagte er leise.
Treidler musste sich wohl verhört haben. Im ersten Augenblick wusste er nicht, wie er reagieren sollte. »Bitte?« Er suchte in Winklers Gesicht nach einem Anhaltspunkt, ob er womöglich doch richtig verstanden hatte. Aber nur Winklers Lippen zuckten für einen winzigen Augenblick.
»Ich will mich entschuldigen«, wiederholte Winkler noch leiser. »Es war falsch, dass ich dich damals für den Mord an deiner Frau verdächtigt habe.«
»Natürlich war es das«, sagte Treidler langsam.
Schweigend und mit ausdruckslosem Gesicht schaute ihn Winkler an. Erneut zuckten seine Lippen ganz leicht.
»Aber trotz deiner späten Reue werden wir wohl nie zusammen ein Bier trinken gehen. Ich denke nicht, dass ich dir dieses halbe Jahr U-Haft jemals verzeihen kann. Und außerdem waren deine Ermittlungen oberflächlich und dilettantisch. Du hast einfach mit allem danebengelegen.«
Winkler beugte sich nach vorne. Er war jetzt so nah, dass Treidler seinen feuchten Atem im Ohr spüren konnte. »Du blöder Wichser«, flüsterte er so leise, dass ihn niemand außer Treidler hören konnte. »Glaub ja nicht, dass ich das hier freiwillig mache. Aber der Graue wollte unbedingt, dass ich mich bei dir entschuldige. Und das hab ich somit getan. Von einem Psycho wie dir lasse ich mir die Karriere nicht versauen.« Er trat zurück und setzte ein falsches Lächeln auf.
»Winkler …« Treidler dachte nicht daran, seine Stimme zu senken. So laut, dass ihn alle gut hören konnten, sagte er: »Du bist und bleibst ein verfluchter Arschkriecher.«
Alle Köpfe am Tisch flogen herum. Petersen, Melchior, Borchert sowie Schober und Lohrmann starrten in ihre Richtung. In dem Raum war es so still geworden, dass man das Vogelgezwitscher draußen hörte.
»Irgendwann wird dich deine hinterhältige Art einholen. Dann schaue ich dir dabei zu, wie du in deiner eigenen Scheiße versinkst.« Treidler presste die Lippen aufeinander.
Winkler stieß ein amüsiertes Grunzen aus und wollte abwinken. Blitzschnell ergriff Treidler sein Handgelenk und hielt es fest, wie in einem Schraubstock. Er ließ Winkler nicht aus den Augen und konterte jeden seiner Versuche, den Arm loszureißen, indem er noch fester zupackte. Erst Sekunden später ließ Treidler los, drehte sich um und marschierte ohne ein weiteres Wort davon.
Gegen vier Uhr nachmittags trudelte eine E-Mail mit dem vorläufigen Bericht der Spurensicherung ein. Melchior druckte die Anlage aus und reichte sie Treidler. In diesem frühen Stadium beschränkte sich der Inhalt auf die Beschreibung des Tatorts und die Aufzählung der sichergestellten Gegenstände. Der Bericht verriet im Grunde nichts Neues, sondern bestätigte das, was sie ohnehin schon vor Ort festgestellt hatten. Bis auf die Rauschgiftmenge. Mit seiner Schätzung hatte Treidler falschgelegen. Es handelte sich um zwölf Gramm Marihuana und entsprach dem Doppelten, was die Baden-Württemberger Justiz als »geringe Menge« bezeichnete. Unter normalen Umständen würde dies eine Strafverfolgung nach sich ziehen. Gleichwohl blieb Treidler dabei: Mit einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz hatte der Mord nichts zu tun.
»Ich habe die polnischen Behörden informiert«, unterbrach Melchior seine Gedanken. »Die sollen Kowalskis Angehörige ausfindig machen.«
Treidler sah auf.
»Was war das vorhin eigentlich mit Winkler?«, fragte Melchior.
Er wandte sich wieder dem Bericht zu. Diese Frage hatte er erwartet. »Ich hab ihm gesagt, dass er ein Arschkriecher ist.«
»Das war nicht zu überhören. Aber warum?«
»Petersen hat ihm aufgetragen, sich bei mir zu entschuldigen.«
»Wegen den Ermittlungen gegen Sie vor zwei Jahren?«
Treidler nickte.
»Und was gibt es an einer Entschuldigung auszusetzen?«
»Er hat es nur getan, weil der Graue es von ihm verlangt hat. Kein Wort des Bedauerns, kein Wort der Reue. Und das, obwohl er alleine dafür verantwortlich ist, dass ich so lange in U-Haft saß, während ihm Lisas Mörder vor der Nase herumgetanzt ist.«
Melchior sog scharf die Luft ein. Sie begann, an ihrem Halstuch herumzuspielen. Es war besser, die Vergangenheit für heute ruhen zu lassen.
Die Anrufe bei den Mitarbeitern der Raststätte brachten sie kaum weiter. Sie erreichten zwar vier der fünf Personen von der Liste, drei hatten jedoch
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