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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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durchgesetzt. Das änderte sich im Jahr 2004, als die deutschen Behörden die Kontrolle übernahmen. Einfallsreicher bei der Namensgebung stellte sich der BND als neuer Nutzer an. Der bezeichnete die Station als »Hortensie Drei«, was dem eigentlichen Zweck der Anlage als Europas drittgrößter Abhörbasis für Mobilfunk freilich viel näherkam.
    Hatte im Kalten Krieg die Aufgabe des Echelon-Systems noch darin bestanden, den Klassenfeind zu belauschen, erstreckte sie sich heutzutage auf das Abhören und Abfangen der Kommunikation ziviler Personen und Organisationen. Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center hatten die Betreiber die Vielseitigkeit der Anlagen entdeckt und damit begonnen, gezielt die neuen Kommunikationswege wie E-Mails und Mobiltelefone zu überwachen.
    Herzog musste an all die naiven Trottel denken, die freiwillig ihre persönlichen Daten auf sozialen Netzwerken zur Verfügung stellten. Eigentlich sollten die internationalen Geheimdienste Dankesbriefe an Twitter, Facebook und Co. versenden. Zusammen mit den abgefangenen Daten kamen so jeden Tag Petabytes an E-Mails, Posts und Telefonaufzeichnungen zusammen.
    Um diese ungeheure Menge verarbeiten zu können, arbeiteten im Echelon-System nur modernste Prozessoren und Hochleistungsspeicher. Doch das Beste an den Systemen war nicht die Hardware, sondern die Software. Neben der automatisierten Analyse und Auswertung ganzer Dokumente oder Unterhaltungen bildete die sprach- und dialektunabhängige Worterkennung das Herz des Abhörsystems. Ein einziges sogenanntes Keyword genügte, und das KI -Analyseprogramm namens MEMEX kopierte sich die Daten oder startete die Aufzeichnung des Gesprächs. Jedem folgenden Schlüsselbegriff versuchte das System eine Erklärung zuzuordnen. Dafür nutzte es verschiedene Lexika, Enzyklopädien und weitere wortbasierte Datenbanken. Alle so als auffällig markierten Wörter gewichtete die Software schließlich mit einem Faktor. Und dieser Faktor entschied darüber, ob MEMEX abschaltete und die gewonnenen Daten selbstständig löschte oder die verdächtigen Gespräche und Dokumente an die Sektion Eins weiterleitete.
    Wenngleich dort ein Großteil der Erkenntnisse von MEMEX einer manuellen Überprüfung nicht mehr standhielt, machte die intern »Beschaffung« genannte Abteilung ihrem Namen alle Ehre: Sie sorgte für den dringend benötigten Input der Behörde. Ein bis zwei Dutzend Gespräche und Dokumente pro Tag weckten schließlich das Interesse des BND . Aufgrund eines weiteren, streng geheimen Filters erhielt das Bundeskriminalamt höchstens eine Handvoll Benachrichtigungen, um festzustellen, ob ein räumlicher Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen bestand.
    Seit bald drei Jahren fiel Frank Herzog im Bereich Süd genau diese Aufgabe zu: Er überprüfte, ob zwischen einer Meldung des BND über verdächtige E-Mails oder Mobilfunkaufzeichnungen ein räumlicher Zusammenhang zu einem ungeklärten Verbrechen bestand. Unregelmäßig, jedoch meist zu Beginn seiner Nachtschicht erhielt er einen Link vom BND . An dieser täglich wechselnden Adresse lagen die Dateien zu den Gesprächen und Dokumenten der zurückliegenden vierundzwanzig Stunden zum Download bereit. Noch nie war die E-Mail später als zehn Uhr eingetrudelt. Danach begann in der Regel der gemütliche Teil des Abends.
    Herzog massierte seine handtellergroßen, dichten Koteletten, die er trug, um sein kugelrundes Gesicht kantiger erscheinen zu lassen. Ein letzter Blick auf den leeren Posteingang, und er klickte sich zur Webseite des Cologne-Computer-Treffs, wo er das Forum nach neuen Einträgen durchforstete.
    Schnell fand er sein erstes Opfer, das völlig zu Recht das Pseudonym NewBee112 trug. Der Typ wollte doch tatsächlich eine Seriennummer und die komplette Lösung von »Quest of Paradise« abgreifen. Aber er hatte nicht mit Frank Herzog gerechnet, der ihn mit einer Tirade an Zurechtweisungen überschüttete. Spätestens nachdem NewBee112 seine Antwort gelesen hatte, würde der sich ein neues Forum für seine dämlichen Fragen suchen. Immer wieder freute sich Herzog wie ein kleines Kind, wenn er derartige Anfänger durch einen deftigen Beitrag aus dem Forum kicken konnte.
    Zufrieden mit sich selbst, fiel sein Blick auf das Post des Anwenders Unikorn in der Sparte »Spaß & Vermischtes«. Der Typ nervte schon seit einem halben Jahr mit seinen theoretischen und einfältigen Äußerungen über den Datenschutz. Dieses Mal hatte er sich die geplante Änderung

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