Letzte Ausfahrt Neckartal
zur Vorratsdatenspeicherung für Mobilfunk-Provider als Thema ausgesucht. Herzog schlug sich vor Vergnügen auf den Schenkel. Wenn der wüsste, was Echelon jetzt schon mit seinen Handygesprächen anstellen konnte, dann würde er sich nicht mehr über die Vorratsdatenspeicherung aufregen.
Noch bevor Herzog Unikorn antworten konnte, unterbrach ein Piepston seinen Tatendrang. Der Computer signalisierte den Eingang einer E-Mail im Dienstpostfach. Und das bedeutete jede Menge und vor allen Dingen unaufschiebbare Arbeit. Er öffnete das Mailprogramm und fand seine Vorahnung bestätigt. Die Nachricht trug als Anrede lediglich die Bezeichnung der Dienststelle und verwies auf den FTP -Server des Bundesnachrichtendienstes.
Herzog startete den Download der passwortgeschützten Datei. Wenigstens war es nur ein einziger Vorfall, dachte er und beobachtete mit missmutiger Miene den Balken, der nur langsam den Fortschritt anzeigte.
Wie üblich bestand der »Job«, wie ein abgehörtes Gespräch intern genannt wurde, aus zwei Dateien. Aus einer Audiodatei mit der Aufnahme selbst und aus der Textdatei, die die begleitenden Informationen enthielt. Dazu gehörten Längen- und Breitengrad der Position des Gespräches.
Herzog entschlüsselte das Archiv und speicherte die beiden Dateien in einem Verzeichnis. Die Aufnahme hörte er sich erst gar nicht an und öffnete sofort die Textdatei mit der Positionsangabe.
»N48.2, E08.6«. Schon bevor er die Koordinaten in die Kartendarstellung von Google Earth übernommen hatte, wusste er, dass sie eine Position gute fünfzig Kilometer südlich und etwa vierzig Kilometer westlich von Stuttgart ergeben würden. Ein Hundertstelgrad entsprach bei achtundvierzig Grad nördlicher Breite etwas mehr als einem Kilometer. Und die Koordinaten des Stuttgarter Flughafens kannte er auswendig: »N48.7, E09.2«.
Google Earth zeigte eine Position nördlich der schwäbischen Kleinstadt Rottweil an. Als Nächstes suchte Herzog die zentrale Verbrechensdatenbank der Baden-Württemberger Polizei nach Gewaltverbrechen in der unmittelbaren Nähe der Position ab. Damit die Daten stets aktuell blieben, verpflichteten sich die Polizeidienststellen, innerhalb von zwölf Stunden einen Eintrag mit der Art des Verbrechens und der GPS -Position anzulegen. Erst später folgte ein Verweis auf die Ermittlungsdetails.
Herzogs Abfrage auf den Datenbestand ergab einen einzigen Treffer: ein Mord an Position N48.1981, E08.6191 – Rastanlage Neckartal, Tatzeit Mitternacht. Keine weiteren Informationen vorhanden.
Er überprüfte die Uhrzeit. Es passte alles: »Hortensie Drei« hatte das Gespräch in einem Zeitfenster von einer Stunde aufgezeichnet. Innerhalb von Minuten brachte Herzog die beiden Funkzellen in Erfahrung, die von dieser Position erreicht werden konnten. In einer Großstadt wären es Dutzende gewesen, und er hätte vermutlich dreimal so lange gebraucht. Später bestand die Möglichkeit, alle SIM -Karten zu ermitteln, die zu diesem Zeitpunkt dort angemeldet gewesen waren, und zu welchem Mobilfunkbetreiber eine Karte gehörte. Die weiteren Ermittlungsergebnisse entschieden schließlich darüber, ob sich ein kluger Kopf mit seinem Supercomputer dranmachte, bei der vermeintlich richtigen Karte die Verschlüsselung zu decodieren. Erst dann hatten die Ermittler Zugriff auf die Verbindungsdaten. Aber das dauerte und zählte zu den Aufgaben der Dechiffrierabteilung. Schlichte Analytiker wie Herzog gehörten nicht zu jenen klugen Köpfen – im Grunde dürfte er nicht einmal etwas davon wissen.
Herzog schickte seine Erkenntnisse an seinen Vorgesetzten und klickte sich zurück zum Cologne-Computer-Treff und Unikorns dümmlichen Beitrag über die Vorratsdatenspeicherung. Doch der Administrator des Forums hatte die Diskussion in der Zwischenzeit geschlossen. Auch recht. Herzog war die Lust am Diskutieren ohnehin vergangen. Stattdessen durchkämmte er lieber die Verzeichnisstruktur nach dem Archiv mit den beschlagnahmten Pornos. Wenige Mausklicks später entdeckte er in einem Ordner achtzehn brandneue Filmdateien. Sein Lächeln wurde breiter, als er die neongrünen Sennheiser- PMX70 -Sport-Ohrhörer an den Audioausgang des Computers anschloss und den Bügel umlegte. Mit einem Doppelklick auf eine Datei startete er den Film und lehnte sich zurück.
5
Mittwoch, 12. April
Mindestens eine halbe Stunde nach Dienstbeginn traf Treidler auf der Polizeidirektion ein und fand sich mit einer übernervösen Anita Schober konfrontiert.
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