Letzte Ausfahrt Neckartal
tatsächlich zu eng für ihn standen.
Melchior lächelte nur und griff zum Telefonhörer. »Ich suche nach dem Flug, und Sie besorgen sich ein paar Beruhigungsmittel dafür. Nehmen Sie aber nur solche, mit denen Sie nicht den ganzen Tag schlafen. Wie gesagt, wir sind gerade mal eine Stunde in der Luft, und ich habe nicht die geringste Lust, den Rest des Tages neunzig Kilo Mann zu betreuen.«
»Haha. Und wenn das Zeugs nicht wirkt?«
»Dann erhöhen Sie einfach die Dosis. Das schaffen Sie schon Treidler – garantiert.« Melchior wandte sich dem Telefonapparat zu und wählte eine Nummer.
Verdammt noch mal, wie konnte Melchior nur so herzlos sein? Bereits bei dem Gedanken daran, in ein Flugzeug zu steigen, bekam Treidler weiche Knie.
Trotz seiner Hoffnung, dass Melchior so schnell keinen Flug finden würde, gab es eine halbe Stunde später kein Zurück mehr.
»Schober hat einen Flug gefunden und gleich zwei Plätze für uns gebucht«, sagte Melchior. »Morgen früh um zehn Uhr vierzig mit Air Berlin von Stuttgart nach Berlin-Tegel.« Ihre Miene erstrahlte. »Das ist doch fast wie bei einem Wochenendausflug, finden Sie nicht?«
Treidler nickte nur schwach. Innerlich stellte er sich bereits auf ein enges, schwankendes Flugzeug und kalte Schweißausbrüche ein. Die Bilder von Flugzeugabstürzen der letzten Jahre jagten ihm durch den Kopf.
»Was ist? Ist Ihnen nicht wohl?« Melchior sah ihn mit einer Mischung aus Sorge und Unverständnis an.
»Es ging mir schon mal besser«, brachte Treidler tonlos hervor. Er schaute an Melchior vorbei auf die Wand hinter ihr.
»Können Sie alles bis morgen organisieren? Ausweis, Waschbeutel und einen Satz Klamotten zum Wechseln?«
»Ich habe keinen Reisepass«, sagte er schnell, und jäh keimte Hoffnung in ihm auf. Vielleicht musste er doch nicht fliegen.
»Nach Berlin brauchen Sie keinen Reisepass.« Sie nahm zwei Seiten aus dem Drucker und hielt sie hoch: ihre Flugpässe. So schnell ging das heute. »Ihr Dienstausweis oder der Personalausweis reicht vollkommen aus.«
Mit einem Mal wünschte er sich, dass Melchior nicht aus Berlin, sondern aus der näheren Umgebung stammte. Dann könnten sie Onkel Horst mit dem Dienstwagen besuchen.
»Und lassen Sie Ihre Dienstwaffe hier.« Melchior hob mahnend den Zeigefinger.
»Warum?«
»Wegen der Flugsicherheit muss eine Waffe immer außerhalb der Kabine transportiert werden. Und dazu ist eine Genehmigung durch die Fluggesellschaft und des Piloten erforderlich. Die Zeit haben wir nicht mehr.«
10
Freitag, 14. April
Der Air-Berlin-Flug AB - 6530 hob pünktlich in Stuttgart ab. Treidler hatte Melchior bereitwillig den Fensterplatz abgetreten. Er hoffte, dass so das unangenehme Gefühl der enormen Höhe ausblieb. Erfreulicherweise standen die Sitzreihen des Airbus A310 nicht so eng beieinander, wie er befürchtet hatte. Er konnte sich bequem zurücklehnen, ohne mit den Knien am Vordersitz anzustoßen. Melchior hatte sogar so viel Platz, dass sie den Flug beinahe im Liegen hinter sich bringen konnte. Freilich überkam Treidler ein mulmiges Gefühl, sobald der Airbus etwas unruhiger in der Luft lag. Da aber die Stewardessen weiterhin lächelnd ihre Rollwägen durch die Gänge schoben, ließ seine Anspannung meist rasch wieder nach.
»Es gibt noch etwas, das Sie wissen sollten, bevor wir in Berlin landen.« Melchior hatte den Blick auf die Sitzlehne vor ihr gerichtet.
»Über Stankowitz?« Treidler spürte, dass ihr diese Unterhaltung nicht leichtfiel.
Melchior nickte und schaute weiter geradeaus. »Er sitzt im Rollstuhl, seit ihm eine Explosion beide Beine abgerissen hat.«
Treidler zuckte zusammen. »Was ist passiert?«
»Es ist über dreißig Jahre her. Er war damals bei den Grenztruppen und an der innerdeutschen Grenze stationiert. Bei einer Überprüfung der Grenzanlagen wurde eine Mine entdeckt, die an dieser Stelle überhaupt nicht hätte sein dürfen.« Sie sah zu ihm auf. »Er ist mit beiden Beinen draufgetreten.«
Eine verdammt tragische Geschichte. Treidler wusste nicht, was er hätte sagen können, und beließ es bei einem Kopfnicken.
»Das ist noch nicht alles.« Ihr Blick wanderte wieder zurück zur Lehne. Onkel Horst und mein Vater sind zusammen aufgewachsen. Sie waren seit jeher miteinander befreundet. Nach dem Unfall hat mein Vater Onkel Horst eine neue Stelle als EDV -Fachmann besorgte – beim MfS in Lichtenberg.«
Treidler benötigte einen Moment, bis er die Abkürzung »MfS« eingeordnet hatte. »Was? Sie
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