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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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ein winziges Stück des Klebebands hielt ihn im Plastikköcher.
    »Ich hab noch was«, sagte Melchior.
    »So? Was denn?« Treidlers Interesse galt mehr dem Mercedes-Stern, der bald aus dem Köcher fallen würde.
    »Ich fürchte, es sind keine guten Neuigkeiten. Die polnischen Behörden teilen uns mit, dass sie keine Angehörigen von Marek Kowalski ermitteln können. Mutter und Vater sind vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und Geschwister gibt es keine.«
    »Eine Familienfehde als Mordmotiv fällt damit wohl aus.« Treidler drückte das Klebeband fester an den Mercedes-Stern.
    »Sie versuchen, über die Registereinträge der Eltern und Großeltern entfernte Verwandte ausfindig zu machen, und melden sich anschließend nochmals.«
    Mit einem Mal tauchte Rüdiger Paschl in der Tür auf. Er hatte Kopfhaut und Gesicht frisch geschoren und sonderte eine Parfümwolke ab, die Treidler noch an seinem Schreibtisch wahrnahm. Paschl zeigte das gleiche strahlend-anbiedernde Lächeln wie schon am Vortag. Ohne jemanden anzuschauen, rief er ins Büro: »In einer Viertelstunde Skills Coaching – drüben im großen Besprechungsraum.« Prompt verschwand er wieder.
    »Was meint unser großer Zampano denn damit?«, fragte Treidler und ließ vom Mercedes-Stern ab.
    Melchior konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
    »Was jetzt?«
    »Skills Coaching«, sagte sie und schien sich die Worte dabei auf der Zunge zergehen zu lassen. »Das bedeutet so etwas wie Nachhilfe.«
    »Ich brauche aber keine Nachhilfe, und schon gar nicht vom BKA «, sagte Treidler. Wie kam dieser Geißenpeter überhaupt auf eine derart dämliche Idee.
    »Man kann es auch als Schulung sehen.« Melchior lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
    »Und warum sagt er das nicht so?«
    Melchior zuckte mit den Achseln. »Vielleicht kennt er nicht die korrekte schwäbische Bezeichnung dafür.«
    »Ich hätte auch die hochdeutsche verstanden.« Treidler sah dem Klebeband zu, wie es sich vom Mercedes-Stern löste. Im nächsten Moment kippte der aus dem Köcher und fiel zu Boden.
    In dem kurzfristig anberaumten Skills Coaching wollte Paschl einem ausgesuchten Kreis von Kommissariatsmitarbeitern die neuesten Erkenntnisse moderner Verbrecherjagd näherbringen. Treidler wäre fast eingeschlafen. Melchior schaffte es jedoch, ihn mit einigem Ellenbogeneinsatz davon abzuhalten. Dabei gab es nichts, das er hätte verpassen können. Bei der Veranstaltung ging es schlicht um Täter – sowie Tatortbeschreibungen und die Eingrenzung Verdächtiger – allerdings mit englischen Begriffen. Paschl sagte nichts, das Treidler so oder so ähnlich schon seit Jahren von der Polizeihochschule kannte.
    Glücklicherweise entließ Paschl seine Zuhörer Viertel vor zwölf Uhr, genau in dem Moment, als bei Treidler Magenknurren einsetzte. Schade fand er nur, dass Winkler schon auf seinem Lehrgang war. Das Erlebnis des Skills Coaching hätte er ihm wirklich gegönnt.
    Treidler und Melchior verbrachten ihre Mittagspause in der hauseigenen Kantine bei Pfannkuchen und Apfelmus. Er machte sich einen Spaß daraus, über Paschl und die Zeitverschwendung der letzten beiden Stunden zu spotten.
    Zurück im Büro konsultierte Melchior den Computer, und ein freudiges Lächeln breitete sich um ihren Mund aus. »Er hat geantwortet.«
    »Wer?«
    »Onkel Horst.«
    »Und was schreibt er?«
    »Er will uns per E-Mail nichts Genaueres dazu mitteilen. Nur so viel, dass wir den USB -Stick auf keinen Fall weitergeben sollen. Und er schlägt vor, wir sollen mit dem Original nach Berlin kommen.«
    »Warum?«
    Melchior zuckte mit den Schultern. »Das schreibt er nicht. Vielleicht denkt er, dass sich noch versteckte Informationen darauf befinden.«
    »Dann sollten Sie ihn bald aufsuchen.«
    »Nicht nur ich. Wir gehen beide.«
    »Nein, bestimmt nicht.« Treidler schüttelte vehement den Kopf.
    »Ich habe keine Zeit für so was.«
    »Wir fliegen, dann sind wir einen Tag später zurück.«
    »Ich fliege nicht.«
    »Warum nicht?«
    In ein Flugzeug steigen? Das kam nicht in Frage. »Weil … weil ich zu groß für die Sitze bin.«
    Melchior winkte ab. »Das ist Blödsinn. Wir sind nicht viel länger als eine Stunde in der Luft.«
    »Trotzdem – ich fliege nirgendwohin. Nicht heute, nicht morgen, sondern überhaupt nicht.«
    »Flugangst?«
    »Nein.« Natürlich hatte sie recht, aber das würde Treidler nie zugeben. Denn geflogen war er noch nie. Er hatte keine Ahnung, ob die Sitzreihen in einem Flugzeug

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