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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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Freund zu Hilfe eilen sollten. Doch noch bevor sie ihren Kameraden erreichten, hatte Melchior ihn mit einem Fußtritt von den Beinen geholt. Hart schlug er auf dem Boden auf und blieb liegen.
    Melchior wandte sich den drei neuen Angreifern zu. Mit einem Tritt hielt sie sich einen der Jungen vom Leib, während sie zwei Faustschläge des anderen mit dem Unterarm abwehrte. Das Mädchen sprang beiseite und stürmte mit wutentbrannter Miene direkt auf Treidler zu. Sie wollte ihn treten, doch ihr Gesicht hatte sie verraten. Er wich dem Tritt aus, sodass sie das Gleichgewicht verlor und rücklings zu Boden ging. Jammernd blieb sie auf der Seite liegen und fasste sich ans Steißbein.
    Treidler wollte Melchior zu Hilfe eilen, doch die beiden Jungen lagen ebenfalls schon auf dem Boden und hielten sich mit schmerzverzerrten Gesichtern den Schritt. Fraglos hatte Melchior sie dort getroffen, wo es am effektivsten war. Sie trat neben den ersten Angreifer mit dem roten Kapuzenpulli und legte ihm Handschellen an.
    Mit der Solidarität seiner drei Freunde schien es nicht mehr weit her zu sein. Die beiden Jungen rafften sich schneller auf, als Treidler reagieren konnte. Sie sprangen vom Bahnsteig und machten sich über die Gleise davon. Als das Mädchen bemerkte, dass die beiden flüchteten, verstummte das Jammern schlagartig. Sie kam ebenfalls hoch und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon.
    Melchior schaute den Flüchtenden nach und drehte sich zu Treidler. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. »Sie bluten ja. Lassen Sie mal sehen.«
    »Warten Sie – ich brauch keine Hilfe.« Er hob abwehrend die Hand. Schweiß trat auf seine Stirn.
    »Das ist doch Blut, dort an Ihrem T-Shirt. Sie brauchen unbedingt Hilfe.«
    »Es tut überhaupt nicht weh.« Schwindel breitete sich in seinem Kopf aus. Alles um ihn herum schien sich zu drehen – die Unterführung, der Bahnsteig, das Gleis.
    »Geht es Ihnen gut?«, vernahm Treidler eine fremde Stimme direkt neben sich. Er wandte den Kopf vorsichtig und blickte in das Gesicht des älteren Mannes, den die Jugendlichen vorhin überfallen hatten. Weiße Brauen trennten die sorgenvollen Falten auf seiner Stirn von einem Paar wacher Augen. Ein dankbares Lächeln huschte um den Mund des Mannes.
    »Lassen Sie mal sehen«, sagte er. »Ich war früher praktizierender Arzt. Das ist schließlich das Mindeste, was ich für Sie tun kann.«
    »Sind denn alle taub«, knurrte Treidler. »Wie oft muss ich …« Mit zittrigen Fingern wischte er sich einige Schweißperlen aus dem Gesicht. Seine Knie wurden weich.
    »Wollen Sie sich setzen?«, sagte der Mann. Diesmal klang seine Stimme weiter entfernt und dumpfer als noch vorhin.
    Ohne zu wissen, wie es dazu kam, spürte Treidler jäh den harten, kalten Beton des Bahnsteigs im Rücken. Jemand hielt ihm die Beine hoch, während sich eine andere Person an seinem T-Shirt zu schaffen machte. Er ließ es geschehen.
    Das Nächste, was er registrierte, war ein sanftes Tätscheln an seinen Wangen, das sich nach und nach zu einer Ohrfeige steigerte. Er schlug die Lider auf und blickte in Melchiors Gesicht.
    »Glück gehabt«, sagte sie. »Sie haben nur eine kleine Fleischwunde.«
    »Sag ich doch. Es tut überhaupt nicht weh.« Treidler versuchte zu grinsen. »Ninja-Schnecke.«
    »Was?«
    »Ninja-Schnecke«, wiederholte er. »So hat Mehmet Sie genannt, als Sie ihn vor ein paar Tagen festgesetzt haben. Und seit vorhin weiß ich auch, warum.«
    »Mann, Treidler«, sagte Melchior mit gespielter Entrüstung. »Und ich dachte, Sie sind schwerer verletzt.«
    Er richtete sich auf und legte den Kopf schräg. »Das vorhin – das war kein Judo, richtig?«
    Melchior zuckte mit den Schultern. »Ich hab wohl was dazugelernt.«
    In diesem Moment fuhr ein Streifenwagen vor, den Melchior offenbar alarmiert hatte. Die Beamten erkundigten sich nach dem Tathergang und nahmen den Jungen im roten Kapuzenpulli in Verwahrung. Der ältere Mann erklärte sich bereit, eine schriftliche Zeugenaussage auf dem Revier zu machen. Damit war die Gegenwart von Treidler und Melchior nicht weiter notwendig. Nachdem sie mit den Streifenbeamten Handschellen und Visitenkarten ausgetauscht hatten, setzten sie sich in die nächste S-Bahn zurück nach Pankow.
    Melchior schien es bedeutend besser zu gehen als bei der Hinfahrt. Auch Treidlers Laune hatte sich merklich gebessert. Nur die Wunde an der Hüfte zwickte etwas. Sie stiegen aus und erreichen nach einem kurzen Fußmarsch Horst Stankowitz’ Wohnung. Doch

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