Letzte Ausfahrt Neckartal
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Was verdammt sollte das nun wieder?
»Sanchez? Ignacio Sanchez de la … Rubalaba …? Der kleine Spaniokel von der Polizeischule?«, fragte Melchior. Ihre Stimme klang überrascht.
»… de le Rubalcaba«, korrigierte der Mann, der sich anhörte wie der Kommentator eines spanischen Fußballspiels, der mit viel Dramatik den Namen der Spieler in die Länge zog. »Aber das wirst du wohl nie lernen. Und dein kleiner Spaniokel von der Polizeischule ist inzwischen Hauptkommissar im Abschnitt fünfzehn.«
»Ach ja?«, entgegnete Melchior spitz. Offenbar hatte sie ihre Überraschung schnell überwunden. »Dann kannst du ja jetzt den Jungs vom SEK sagen, dass sie ihre verdammten Stiefel aus meinem Rücken nehmen sollen und uns losmachen.«
Sanchez gab ein paar Anweisungen. Unerwartet sanft befreite jemand Treidler von seinen Fesseln. Er erhob sich mühsam und stand einem kleineren Mann Anfang dreißig gegenüber, der seine südländische Herkunft nur schwer leugnen konnte.
Die pechschwarzen, gegelten Haare glänzten im spärlichen Licht, das durch die Gardinen fiel. Das teigige Gesicht mit den hängenden Wangen ließ vermuten, dass sich seine Zeit als Frauenschwarm dem Ende zuneigte. Sanchez trug trotz seiner fülligen Figur einen perfekt sitzenden, dunklen Nadelstreifenanzug mit passender Weste über einem blütenweißen Hemd. Die goldene Krawattennadel in Form eines Bären auf dem grün-weiß gestreiften Schlips stellte vermutlich das Berliner Wappen dar. Das grünliche Einstecktuch in der Brusttasche seines Sakkos wirkte, als ob vom Stoff der Krawatte noch etwas übrig geblieben war. Ein glitzerndes Armkettchen, goldene Manschettenknöpfe sowie der Siegelring mit einem Symbol, das Treidler nicht kannte, komplettierten sein bedeutungsvolles Aussehen.
Fast genauso schnell, wie sie aufgetaucht waren, rückten die Einsatzkräfte des SEK wieder ab. Zurück blieben Sanchez, eine Frau Anfang zwanzig mit strengem Pferdeschwanz und ein nur wenig älterer blonder Lockenkopf, der trotz des Halbdunkels der Wohnung seine Sonnenbrille aufbehielt. Beide trugen schusssichere Westen, jedoch keine Waffen, und gehörten offensichtlich zu Sanchez’ Einsatzgruppe. Die Polizistin schaute sich mit versteinerter Miene um, während der blonde Lockenkopf jede Bewegung seines Vorgesetzten verfolgte. Unvermittelt musste Treidler an Winkler und Borchert denken.
»Weißt du was, Carina?« Sanchez musterte Melchior ungeniert. »Du hast nach wie vor diesen erstklassigen Arsch. Schade, dass du damals schon zu alt für mich warst.«
»Und du bist immer noch der gleiche Macho«, gab sie trocken zurück. »Vermutlich steigst du der Kleinen hier nach.« Melchior deutete mit dem Kinn auf Sanchez’ junge Kollegin, die mit essigsaurer Miene aufhorchte. »Aber in all den Jahren solltest auch du bemerkt haben, dass man mit einem dicken Bauch und einem kleinen Schwanz keine rumkriegt. Wer will schon zwei Zentner Lebendgewicht auf sich herumliegen haben? Die Kleine sicher nicht.«
Sanchez schluckte. Seine pechschwarzen Augen schienen sich geradezu in Melchior zu bohren. Er stieß einen Laut des Unmuts aus, der sich beinahe wie ein Grunzen anhörte. »Was machst du hier?«
Melchior funkelte ihn aus ihren dunklen Augen böse an. »Wer hat euch gerufen?«
»Ich stelle die Fragen.« Sanchez sah kurz zu Treidler. »Also noch mal: Was machst du und der Typ hier?«
Melchior zuckte mit den Schultern. »Ich wollte meinem Kollegen Berlin zeigen«, entgegnete sie mit einem schiefen Lächeln.
»Verarsch mich nicht. Ich meinte nicht die Stadt, sondern diese Wohnung hier.« Mit dem Zeigefinger zeigte Sanchez auf den Fußboden.
»Ich habe ihn besucht«, sagte Melchior etwas leise. Ohne hinzusehen, deutete sie mit dem Kopf hinter sich.
»Soso. Und wer ist ihn ?« Sanchez raue Stimme klang hart und unnachgiebig. »Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Du kennst die Prozedur doch genau.«
Melchiors Augen blieben stur geradeaus gerichtet. »Horst Stankowitz.«
»Und in welchem Verhältnis stehst du zu ihm?« Sanchez schaute ein paarmal zwischen ihr und Treidler hin und her.
»Ich kenne ihn eben …« Melchior machte ein gelangweiltes Gesicht.
Sanchez verzog den Mund, dann wandte er sich abrupt an die junge Polizistin. »Verhaften.«
Treidler dachte noch, sein Gehör habe ihm einen Streich gespielt. Doch die Kollegin mit dem strengen Pferdeschwanz trat bereits hinter ihn, als habe sie nur auf die Anweisung gewartet.
Zum zweiten Mal an diesem Tag
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