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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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dreißig Metern Entfernung umringten die Jugendlichen einen älteren Mann mit Hut, dunkelblauem Anzug und Krawatte. Er zog einen Rollkoffer hinter sich her und versuchte, sich mit der anderen Hand einen Weg durch die Gruppe zu bahnen. Dabei landete der Wollmantel, der bislang über seinem Arm hing, auf dem Boden. Der Kleinste der Jugendlichen stieß den Mantel mit dem Fuß in Treidlers Richtung und lachte höhnisch auf. Das Lachen klang seltsam hoch, und erst jetzt erkannte Treidler, dass es sich um ein Mädchen handelte, das noch jünger zu sein schien als ihre Begleiter.
    »Was soll das?«, rief Treidler der Gruppe zu.
    Ein Junge im roten Kapuzenpulli blickte kurz auf, hielt ihm den ausgestreckten Mittelfinger entgegen und wandte sich wieder dem älteren Mann zu. Im nächsten Augenblick schlug er ihm den Hut vom Kopf. Die Kopfbedeckung segelte im hohen Bogen davon und landete im Gleisbett. Wieder unterstrich der Junge seine Geringschätzung Treidlers und schob die Hand vor seinem Hosenladen hin und her.
    Treidler hatte genug gesehen. »Polizei – sofort aufhören«, brüllte er. Mit eiligen Schritten steuerte er auf die Jugendlichen zu.
    »Verpiss dich, du alter Sack«, rief der im roten Pulli.
    »Kriminalpolizei.« Treidler baute sich direkt vor ihm auf und zog seinen Dienstausweis hervor.
    Der Junge reichte ihm gerade mal bis zum Kinn. Doch statt ehrfürchtig vor dem Ausweis zu erstarren, brach er in Gelächter aus. »Was ist das da in deiner Hand? Die Erlaubnis, dir einen runterzuholen?«
    »Mein Dienstausweis, du kleiner Pisser«, gab Treidler zurück. Vielleicht kam er mit Beleidigungen weiter als mit der Warnung von vorhin. »Und der gibt mir das Recht, dich festzunehmen, wann und wo ich will.«
    Die Faust raste so schnell auf ihn zu, dass Treidler nicht mehr reagieren konnte. Der Hieb traf ihn wie ein Hammer. Ein heftiger Schmerz im Unterkiefer durchzuckte ihn. Der Junge hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Treidler taumelte, knickte um und konnte sich gerade noch mit einem Knie auf dem Bahnsteig abstützen, um nicht gänzlich umzufallen. Tränen schossen ihm in die Augen. Mit verschwommenem Blick entdeckte er neben sich den Mantel des alten Mannes. Am liebsten hätte er sich daraufgelegt und abgewartet, bis die verfluchten Schmerzen im Kiefer nachließen. Doch die Bedrohung existierte weiter.
    Treidler kniff die Augen zusammen. Für einen Moment meinte er, dass rechts von ihm etwas aufblitzte. Spielten seine Sinne ihm einen Streich? Hatte er sich das Blitzen nur eingebildet? Nur mit Mühe schaffte er es, den Kopf zu drehen. Was war das? Wo war sein Gegner? Einen Wimpernschlag später wusste er, dass er sich nicht getäuscht hatte: Der Junge im roten Kapuzenpulli hielt ein Jagdmesser in der Hand und umkreiste ihn wie ein Raubtier seine Beute. Die Klinge blitzte auf.
    Er tastete nach seiner Waffe und – fasste ins Leere. Verfluchte Fliegerei, die Pistole lag zu Hause in Rottweil. Was konnte er jetzt tun? Ohne eine Waffe hatte er gegen das Messer kaum eine Chance. Verdammt, wo war Melchior? Der Mantel kam in sein Blickfeld. Treidler griff danach, wickelte den Stoff um den linken Arm und versuchte, so schnell wie möglich hochzukommen.
    »Was ist los, du Wichser?«, brüllte der Junge und fuchtelte mit dem Messer vor ihm herum. Die Klinge war gut und gerne fünfzehn Zentimeter lang. »Willst du mich mit dem Mantel erschlagen?«
    Treidler schaute in die hasserfüllten Augen des Jugendlichen, der mehr Kind war denn Erwachsener. Er schien keine Hemmschwelle zu besitzen. »Hör auf damit!«
    Der Junge hob ruckartig die Hand mit dem Messer und sprang auf ihn zu. Treidler riss den Mantel hoch, um den Angriff abzuwehren. Er konnte den ersten Stich ablenken. Doch der Junge war schnell, zu schnell, und stach noch einmal zu. Obwohl er ahnte, dass ihn die Klinge verletzt hatte, spürte Treidler nichts. Er wusste noch nicht einmal, wo am Körper er getroffen worden war.
    Mit einem Mal tauchte Melchior zwischen ihm und dem Angreifer auf.
    »Aber hallo, kommt jetzt die Kavallerie?«, sagte der Junge. »Die ist ziemlich klein geraten. Ist das dein Püppchen …«
    Der Rest seiner Worte ging in einem unverständlichen Röcheln unter. Melchiors rechte Hand war blitzschnell nach vorne geschnellt und umfasste seine Gurgel, während sie ihm mit der linken Faust das Messer aus der Hand schlug. Klirrend fiel es zu Boden, und Treidler kickte es sofort weg.
    Die anderen aus der Gruppe fanden jetzt offenbar, dass sie ihrem

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