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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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genug, um als Weinen bezeichnet zu werden. »Ich hätte nie hierherkommen dürfen«, murmelte sie wie zu sich selbst. »Niemals.«
    Treidler fühlte den Schmerz, der von ihr ausging. Das Gefühl blieb stärker als alles andere, und die Wucht, mit der es weiter auf ihn eindrang, überwältigte ihn. Lisas Tod kam ihm in den Sinn. Wie sie dalag, auf dem Stahltisch, nur mit einem dünnen Tuch bedeckt. Schlagartig war das Entsetzen von damals wieder präsent. Er zwang sich zum Sprechen. »Es tut mir so leid.«
    Melchior reagierte nicht.
    Treidler rieb sich mit dem Daumenknöchel so lange die Stirn, bis es schmerzte. Dennoch schaffte er es nicht, seine Gedanken auf das zu richten, was als Nächstes zu tun war.
    »Wenn man genau hinschaut, ist es nicht zu übersehen«, sagte Melchior leise. Ihre Stimme war brüchig. »Ein winziges Einschussloch über der rechten Braue. Es sieht aus wie bei Kowalski.«
    Melchior setzte sich auf die Fersen und streckte den Rücken durch. Eben noch hatte sie sich am Rande eines Zusammenbruchs befunden, und nun stellte sie beinahe emotionslos solche professionellen Betrachtungen an. Doch vielleicht zeichnete sie genau das aus, während er nie zu einer solchen Selbstkontrolle fähig sein könnte.
    Die Papierstapel, die sich tags zuvor noch auf dem Schreibtisch getürmt hatten, lagen verstreut umher. Der Computer stand nicht mehr auf dem Boden, sondern lag ohne Abdeckung auf dem Tisch. Wirr hingen Kabel, Stecker und Leiterplatten heraus, als ob ein Tier ausgeweidet worden war.
    »Wir müssen die Kollegen rufen, jetzt gleich.« Melchior sprang auf. »Abschnitt fünfzehn, Prenzlauer Berg – mein altes Revier.« Sie nahm ihr Mobiltelefon zur Hand und wählte die dreistellige Nummer des Notrufes. Knapp und präzise machte sie die erforderlichen Angaben. Ein erstaunter Ausdruck trat auf ihr Gesicht.
    »Was ist?«, fragte Treidler, als sie das Gespräch beendet hatte.
    »Die sagen, dass es bereits einen Einsatz unter dieser Adresse gibt.«
    In diesem Moment brach ohrenbetäubendes Geschrei und Gepolter los, als ob eine Horde Büffel losgelassen würde. Binnen Sekunden füllte ein halbes Dutzend dunkel gekleideter Gestalten mit angelegter Waffe das Zimmer. Die meisten trugen schusssichere Westen, einige Sturmhauben über dem Gesicht.
    » SEK Berlin. Nehmen Sie die Hände hoch – sofort«, rief ein kleiner, breitschultriger Mann mit Sturmhaube.
    Bevor Treidler die Anweisung befolgen konnte, traf etwas seine Kniekehlen, und die Beine knickten ein. Hart landete er auf den Knien. Sein Oberkörper wurde nach vorne gedrückt wie von einer Presse. Der unbändigen Kraft hinter ihm vermochte er nichts entgegenzusetzen. Gerade noch rechtzeitig konnte er den Kopf zur Seite drehen, bevor sein Gesicht am Boden aufschlug. Er spürte Stiefelabsätze im Rücken, ihm ging die Atemluft aus. Jemand riss seine Arme nach hinten und verschnürte seine Handgelenke mit Klebeband. Gewissenhaft tastete jemand seinen Körper ab. Treidler kannte die Handgriffe. Sie stammten von einem Kollegen.
    Treidler stöhnte. Sämtliche Glieder und besonders seine Knie schmerzten. Seine Rippen fühlten sich an, als ob eine Straßenwalze darübergefahren wäre. Er blinzelte. Außer den schwarzen Kampfstiefeln direkt vor seiner Nasenspitze konnte er nichts erkennen. »Kriminalpolizei Rottweil«, presste er hervor und spuckte den Dreck aus, den er mit jedem Atemzug vom Fußboden einsog wie ein Staubsauger.
    »Führen Sie Waffen mit sich?«, fragte eine gedämpfte Stimme, die vermutlich von dem Mann kam, dessen Stiefel nahezu in seiner Nase steckten.
    Treidler deutete ein Kopfschütteln an.
    »Dienstausweis!«
    »Jackentasche innen links«, ächzte er und drehte sich so gut es ging auf die rechte Seite.
    Jemand machte sich an seiner Jacke zu schaffen und zerriss dabei fast das Innenfutter. Schließlich zog der Kerl den Dienstausweis heraus.
    Anstatt ihm aufzuhelfen, hörte Treidler erneut die Stimme des Mannes. »Wohnung gesichert. Zwei Personen festgesetzt.« Die Worte waren offensichtlich nicht an ihn gerichtet. Eine weitere Person musste den Raum betreten haben.
    »Beamte aus Baden-Württemberg?«, sagte eine raue, fast heisere Stimme. Der Mann klang mehr verärgert als erstaunt. Er sprach mit einem kaum merklichen Akzent, den Treidler nicht zuordnen konnte. »Das ist mal eine Überraschung.« Da brach ein Krächzen los, das Treidler als Gelächter interpretierte. »Carina Melchior …? Bist du das? Verflucht noch mal, Carina, que pasa

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