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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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richtig gesehen hat.«
    Melchior nickte abwesend. Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Jackentasche und drückte darauf herum.
    »Wen rufen Sie an? Sanchez?«
    »Nein, ich schreibe eine E-Mail.«
    »Ach so. Das geht mit meinem Telefon nicht.«
    »E-Mails mit dem Handy? Sie?« Melchior lachte auf. »Das ist in etwa so, als ob Sie einen Handwerker mit zwei linken Händen fragen, ob er Ihnen mal schnell die neue Heizung einbaut. Und außerdem – mit Ihrem Telefon geht das schon mal gar nicht. Dazu braucht man einen halbwegs vollen Akku oder ein Ladegerät.«
    Er verzog das Gesicht und sah ihr zu, wie sie mit geübten Fingern die Nachricht verfasste. »Wem schreiben Sie eigentlich?«, fragte er.
    »Unserem Chef«, entgegnete sie, ohne aufzuschauen. »Ich bleibe bis Mitte nächster Woche in Berlin.«
    Vielleicht wäre es ja klug, wenn er ebenfalls hierbliebe.
    »Es gibt ein paar Dinge«, sagte Melchior, »die ich zuerst klären muss …« Sie hielt inne, und ihre Gesichtsfarbe wurde noch eine Spur blasser.
    »Ist Ihnen nicht wohl?«
    Melchior schüttelte den Kopf und starrte wie gebannt auf das Display ihres Telefons.
    »Sie sehen aus, als ob Sie einen Geist gesehen hätten.«
    »Da könnten Sie verdammt recht haben …«
    »Wie bitte?«
    »Die polnischen Behörden haben sich gemeldet.«
    »Und? Gibt’s etwas Neues?«
    »Das kann man wohl sagen: Marek Kowalski ist gestern Abend in einem Kattowitzer Polizeirevier aufgetaucht.«

16
     
    Treidler benötigte einige Zeit, bis er die Bedeutung von Melchiors Worten verstanden hatte. Marek Kowalski war tot. Er konnte nicht in eine Kattowitzer Polizeistation spazieren. Als die Nachricht einsank, war seine Reaktion allerdings umso heftiger. »Sie wollen mich auf den Arm nehmen, richtig?«, rief er aus.
    Melchior schüttelte den Kopf.
    »Das kann beim besten Willen nicht sein. Kowalski liegt tot in einem stählernen Schubfach der Pathologie – und zwar in Rottweil.«
    »In der E-Mail steht das Gegenteil.« Sie hielt ihm das Telefon hin.
    Treidler musterte die winzigen Buchstaben auf weißem Grund. Nichts davon konnte er lesen. »Und was genau?«
    Melchior drehte das Display wieder zu sich und las vor: »›Der von Ihnen für tot erklärte Marek Kowalski meldete sich am 15.   April um achtzehn Uhr dreißig auf dem Komenda Wojewódzka Policji, Katowice . Er wies sich aus und zeigte den Mord an Adam Lewandowski an. Nähere Angaben dazu verweigerte er. Eine offizielle Befragung unter Beisein seines Anwaltes ist für Montag acht Uhr dreißig im Komisariat Policji II , Józefa Lompy 19 , Zimmer einhundertacht angesetzt.‹«
    »Adam Lewandowski? Wer soll das sein? Steht da nichts dazu?«
    »Nein, nichts weiter«, entgegnete Melchior.
    »Liegt Kattowitz auf dem Weg?«
    Sie runzelte die Stirn. »Auf welchem Weg?«
    »Nach Rottweil.«
    »Berlin–Kattowitz–Rottweil? Hört sich nicht unbedingt nach einer paneuropäischen Hauptverkehrsverbindung an und auch rein geografisch … eher abwegig. Aber auf was zum Teufel wollen Sie eigentlich hinaus?«
    »Dass wir am Montagmorgen ebenfalls auf diesem Kattowitzer Polizeirevier in Zimmer einhundertacht sitzen werden«, gab Treidler zurück. »Und damit Sie es gleich wissen, wir nehmen den Zug.«
    »Mit dem Zug nach Kattowitz? Das dauert garantiert einen halben Tag.«
    »Dann eben in einem Nachtzug. Das ist allemal besser als jeder beschissene Flieger.«
    Melchior atmete tief durch. Sie schien zu überlegen, ob sie seinen Vorschlag ernst nehmen sollte. »Gut«, sagte sie. »In diesem Fall melde ich uns für morgen auf diesem Komisariat Policji an. Und zwar per E-Mail.«
    Fünf Minuten und zwei Telefonate später verkündete Melchior: »Es gibt einen Nachtzug der Tanie Linie Kolejowe . Abfahrt heute Abend um einundzwanzig Uhr sechsundvierzig in Stettin, Ankunft in Kattowitz morgen früh um sechs Uhr einundvierzig.« Sie machte keinen glücklichen Eindruck.
    »Haben Sie reserviert?«
    Melchior nickte knapp. Allein an ihrer Reaktion konnte Treidler erkennen, dass sie mit etwas haderte.
    »Was ist?«
    »Es gab nur noch ein Economy-Abteil.«
    »Das bedeutet?«
    »Zwei Betten übereinander und eine winzige Waschgelegenheit für uns beide. Mehr nicht.«
    »Ich habe damit keine Probleme. Sie etwa?« Treidler konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Nach gestern Nacht? Bestimmt nicht.« Melchior verzog den Mund und wandte sich zum Gehen.
    »Wie weit ist es bis Stettin?«
    »Nicht weit. Die Stadt war früher der Hafen Berlins. Vielleicht etwas mehr als

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