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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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zu tun hatte. Aber wer konnte davon wissen?
    Melchior zuckte mit den Schultern. »Irgendwas, das nicht jeder sofort als das erkennt, was es ist.«
    Grauer Nebeldunst hing über den Dächern der Stadt. Nichts deutete mehr auf den gestrigen Frühlingstag mit Temperaturen von zwanzig Grad hin. Am unangenehmsten empfand Treidler den böigen Westwind, der immer noch vereinzelt Regentropfen durch die Straßen trug.
    Sie beeilten sich, das kurze Stück Weg bis zu Stankowitz’ Wohnung hinter sich zu bringen. Melchior zögerte nicht einen Augenblick, als sie das Treppenhaus betraten. Nach wenigen Stufen standen sie vor der Wohnungstür. Ein rot-weißes Absperrband klebte quer über dem Rahmen, und ein Siegel der Berliner Polizei prangte am Türblatt.
    »Haben Sie einen Schlüssel?«, fragte Treidler.
    Melchior schüttelte den Kopf. »Aber wie ich meine früheren Kollegen kenne, ist nicht abgeschlossen.« Sie zog ein kleineres Schweizer Armeemesser aus der Hosentasche.
    »Für das Siegel und das Band hätten bestimmt auch Ihre Fingernägel ausgereicht.«
    »Für das Siegel ja«, entgegnete Melchior. Sie riss das Band ab und durchtrennte den Aufkleber zwischen Rahmen und Türblatt mit einer schnellen Handbewegung. Sie ging in die Knie und schob die Klinge auf Höhe des Schließblechs in den Spalt, um die Schlossfalle nach innen zu drücken. »Aber nicht für die Tür.«
    »Sie wollen sich tatsächlich mit einem Taschenmesser Zutritt zu einer versiegelten Wohnung verschaffen? So was klappt nur in schlechten Krimis.«
    Treidler erhielt keine Antwort. Das charakteristische Klacken des Schnappers ertönte, und mit einem Ruck schwang die Tür nach innen auf.
    Er folgte Melchior. Noch immer empfand er ihr Vorhaben als aussichtslos. Die Berliner Polizei hatte garantiert ganze Arbeit geleistet.
    Vor Stankowitz’ Arbeitszimmer stockte Melchior einen Augenblick und trat dann ein. Als Treidler den Türrahmen erreichte, sah er warum: Mit weißem Klebeband hatte die Spurensicherung den Umriss eines toten Körpers auf dem Fußboden markiert.
    Wie zu erwarten, hatten Sanchez’ Kollegen die Wohnung gründlich nach Spuren abgesucht und einzelne Fundorte mit bunten Markierungen gekennzeichnet. Auf nahezu allen Möbeln, dem Türrahmen und Dutzenden anderen Stellen klebten die Reste des tiefschwarzen Magnetpulvers, mit dem die Beamten Fingerabdrücke vom hellem Untergrund abgenommen hatten.
    Melchior ließ ihren Blick über den Schreibtisch gleiten.
    »Glauben Sie, der Mörder hat es auf den USB -Stick abgesehen?«, fragte Treidler.
    »Ich glaube es nicht nur, sondern bin mir sicher. Melchior kramte in den Papieren auf Stankowitz’ Schreibtisch. »Der Stick ist der einzige Gegenstand, der sowohl im Auto als auch in dieser Wohnung lag.« Sie präsentierte einen gelben Klebezettel. »Das lag gestern noch nicht hier. Es ist Horsts Schrift.«
    »Und was steht dadrauf?«
    »Mein Name«, entgegnete sie und legte die Stirn in Falten.
    »Sonst nichts?« Treidler wollte sich schon abwenden.
    »Traceroute suedost.inode.at.«
    »Was soll das bedeuten?«
    »›Traceroute‹ ist ein Programm, das ermittelt, über welche Server Datenpakete ausgetauscht werden.«
    »Macht uns das schlauer?«
    Melchior zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Das Programm gibt in der Regel eine ganze Liste von Servern für ein Datenpaket aus. Den ganzen Weg eben. Aber hier steht nur einer.«
    »Vielleicht die Herkunft des … des Datenpakets?« Treidler war selbst am meisten erstaunt über seine Schlussfolgerung.
    »Kann sein.« Melchior nickte. »Die Top-Level-Domain lautet › AT ‹. Der Server steht also in Österreich.«
    Ein kaum hörbares Geräusch, und mit einem Mal spürte Treidler, dass sie sich nicht mehr alleine im Zimmer befanden. Er fuhr herum. Im Türrahmen stand ein Junge von vielleicht acht oder neun Jahren und starrte sie neugierig an. Die muslimische Gebetsmütze auf seinem Kopf vermochte kaum die pechschwarzen, dichten Locken im Zaum zu halten. Auf der bronzefarbenen Haut rund um den Mund bis hoch zu den Wangen klebten die Überreste seines Frühstücks. In der viel zu großen Latzhose voller Krümel und dem verschmierten T-Shirt sah er aus, als ob er dabei nicht vom Teller, sondern von seiner Kleidung gegessen hatte.
    »Seid ihr von der Polente?«, fragte er mit einem ausgeprägten Berliner Akzent.
    Melchior nickte. »Und wer bist du?«
    »Ick bin Achmed. Und ihr – seid ihr zusammen?« Er grinste und entblößte zwei Zahnreihen, die statt der oberen

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