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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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einhundert Kilometer nordöstlich – zwei Stunden mit dem Zug.«
    Melchior öffnete nach und nach alle erdenklichen Schubladen in ihrem früheren Kinderzimmer. Nichts. Genauso ergebnislos durchsuchten die beiden noch eine Zeit lang den Rest der Wohnung. Die Berliner Spurensicherung hatte tatsächlich gute Arbeit geleistet. Sie fanden absolut nichts, das die Beamten übersehen hatten. Zwischendurch führte Melchior einige Telefonate, um in Erfahrung zu bringen, ob und wann die Rechtsmedizin Stankowitz’ Leiche für eine Bestattung freigeben würde. Doch es fand sich niemand, der ihr am Sonntag Auskunft geben konnte.
    Mit mehr als dreißig Minuten Verspätung verließen sie gegen drei Uhr nachmittags den Berliner Hauptbahnhof. Nach einem schier endlosen Umsteigehalt in Angermünde und einer einstündigen Fahrt schob sich der völlig überfüllte Regionalexpress gegen halb sieben in den Bahnhof Szczecin Główny .
    In Anbetracht der stickigen Luft und des Lärms in den Waggons schwor sich Treidler, niemals mehr an einem Sonntagnachmittag den Zug in ein Ausflugsgebiet zu nehmen. Für die verbliebenen Fahrgäste würde die Weiterfahrt kaum besser werden. Auf dem Bahnsteig wartete ein Pulk von Menschen, um die wenigen verbleibenden Sitzplätze unter sich aufzuteilen. Doch trotz aller Unannehmlichkeiten im Abteil würde noch genügend Zeit bleiben, bis um Viertel vor zehn der Nachtzug Stettin in Richtung Kattowitz verließ.
    Als Treidler ausstieg, nahm er noch auf den Stufen den Geruch der nahen Ostsee wahr. Das Gemisch aus Salz, Fisch und Seetang war ihm nicht fremd. Hier oben im Norden jedoch roch es sich anders als das, was er von Reisen ans Mittelmeer in Erinnerung hatte. Möglicherweise lag das an den niedrigen Temperaturen, die so früh im Jahr an den Küsten rund um das Stettiner Haff noch herrschten.
    Nicht weit entfernt vom Hauptbahnhof befand sich eine Anlegestelle für Passagierschiffe. Hunderte Menschen drängten sich auf der Uferbefestigung, als ob der Sommerschlussverkauf begonnen hätte. Bald erkannte Treidler den Grund: Aus einem der Seitenkanäle näherte sich ein Ausflugsdampfer und steuerte direkt auf den Pier zu. Weiter stromabwärts, dort, wo die Oder in das Haff mündete, breitete sich der Containerhafen aus. Monströsen Robotern gleich, reckten sich Dutzende Lastkräne gen Himmel und stapelten bunte Container übereinander, als ob sie Legosteine zusammenstecken würden. Am Horizont sah Treidler die dunkelgrüne Wasserfläche der Ostsee glänzen. Drei schmale Mündungsarme führten vom Seehafen durch das Haff bis hinaus aufs offene Meer. Industrieanlagen und Fabrikgebäude bestimmten die Silhouette im Westen. Wie eine Scherenschnittkarte zeichneten sie sich vor der tief stehenden Sonne ab. Nördlich davon schloss sich das Zentrum der alten Hansestadt an.
    Gegen Viertel nach acht stand der dunkelblaue Nachtzug TLK83   204 der Tanie Linie Kolejowe schon mit wummernden Dieselmotoren auf Gleis fünf bereit. Melchior und Treidler stiegen ein und folgten den Wegweisern zu den Schlafwagen. Durch die schmutzigen und verklebten Fenster auf dem Gang drang so wenig Licht, als bestünden sie aus Milchglas. Ihr Schlafabteil stellte sich als derart eng heraus, dass nicht einmal stehend beide gleichzeitig Platz fanden. Eigentlich passten nur dann zwei Personen in den Raum, wenn sich einer davon im Bett aufhielt.
    Die Waschgelegenheit in einem Eck des Abteils entsprach in etwa der Größe einer französischen Kaffeetasse, und an Gepäck konnten maximal zwei Rollkoffer untergebracht werden. Das alles hätte Treidler kommentarlos akzeptiert, jedoch nicht die Abmessungen der Liegeflächen. Er schätzte sie auf gerade mal fünfzig mal eins achtzig, und bei seiner Köpergröße würde er sich nicht ausstrecken können. Eine unangenehme Aussicht für die bevorstehende Nacht.
    »Soll ich vielleicht mit angewinkelten Beinen schlafen?«, rief er aus.
    »Treidler, bitte, Sie sind der Letzte, der sich über das hier beschweren darf. Schließlich wollten Sie unbedingt mit dem Zug fahren.«
    »Klar. Und deswegen nehme ich das Bett unten.«
    »Warum Sie?«
    »Weil das Ding da oben nicht aussieht, als ob es neunzig Kilo aushält.«
    Melchior schaute zuerst nach oben, dann nach unten und wieder nach oben. Schließlich musterte sie Treidler und zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen. Ich schlafe bestimmt sowieso bald ein. Ich hab noch Nachholbedarf von gestern.«
    »Da bin ich mir sicher.« Treidler setzte sich auf die untere

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