Letzte Ausfahrt Neckartal
und unteren Schneidezähne riesige Lücken aufwiesen.
»Zusammen?« Melchior lachte. »Nein, nur Kollegen.« Sie schaute kurz zu Treidler und wandte sich dann wieder an den Jungen. »Wo wohnst du?«
Ohne den Blick von ihr zu nehmen, deutete Achmed zur Zimmerdecke.
»Im nächsten Stock?«
Er nickte heftig. »Habt ihr Knarren? Kann ick mal kieken?«
»Nein, die liegen auf unserer Dienststelle.«
»Dann seid ihr ja keene richtigen Bullen.« Seine Mundwinkel senkten sich.
»Doch, sind wir.« Schnell zog Melchior ihre Handschellen aus der Hosentasche und hielt sie dem Jungen vor die Nase. »Schau mal.«
Achmed gab sich unbeeindruckt. »Die kann man vorne bei den Russen koofen – kosten fünf Euro. Mein Bruder hat ooch welche, nur aus Plastik.«
»Was machst du eigentlich hier?«, fragte Treidler.
»Icke? Ick bin oft bei Horst.« Es klang, als ob er nicht glauben konnte, dass jemand derart unwissend über seine gelegentlichen Besuche in dieser Wohnung war.
»Und warum?«
»Er hat so leckere Schokolade. Und immer wenn ick Hunger habe, macht er mir was zu essen.«
»Und wo sind deine Eltern dann?«
»Arbeiten«, gab Achmed knapp zurück.
»Heute auch?«
»Nee.« Der Junge schüttelte vehement den Kopf. »Heute ist doch Sonntag.« Mit einem Mal erschien auf seinem Gesicht ein trauriger Zug. »Horst ist tot, was?«
Treidler deutete ein Nicken an.
»Habt ihr wirklich keene Knarren dabei?«
»Nein, immer noch nicht.«
»Dann müsst ihr aufpassen.« Achmed presste die Lippen aufeinander.
»Auf was?«
Er schaute sich um. »Auf den Mann, wenn er zurückkommt.«
»Welcher Mann?« Treidler horchte auf. Hatte Achmed womöglich Stankowitz’ Mörder gesehen?
»Na, der von jestern.«
»Da war gestern ein Mann hier in der Wohnung?«
Achmed nickte.
»Wann?«
»Kurz bevor ihr jekommen seid.«
»Und was hast du gesehen?« Melchior schob die Handschellen wieder zurück in die Hosentasche.
»Die Wohnungstür stand janz auf, und der Rollstuhl lag da vorne im Jang. Ick dachte, dass der Horst rausgefallen ist und ick ihm helfen muss.«
»Und weiter?«, fragte Melchior.
»Im Jang hab ick dann was rascheln jehört. Die Tür hier war ’nen Spalt offen. Und hier drinnen stand ein Mann.«
»Stand?«
»Ja, stand.« Achmed kratzte sich unter seiner Gebetsmütze. »Deswegen kam mir das ja auch so komisch vor. Weil Horst konnte ja nicht aufstehen.«
»Wie sah der Mann aus?«
»Ick hab ihn nur von hinten jesehen. Der hat alles durchwühlt. So ’n Kleener mit kurzen schwarzen Haaren, unten schmal wie ’n Mädchen, aber trotzdem janz breite Schultern.«
»Wie groß? So groß wie ich, oder größer?«
Der Junge musterte Melchior von oben nach unten. Er blickte kurz zu Treidler und wieder zurück. »Du bist ooch ganz schön kleen«, stellte er schließlich mit todernster Miene fest. »Aber der Typ war trotzdem nicht größer.«
»Was hatte er an?«
»So ’nen schwarzen Anzug.«
»Und weiter?« Melchiors Stimme klang unerwartet scharf.
Achmed zuckte zusammen und senkte den Kopf. »Ick hab Horst jesehen. Er lag auf dem Boden und hatte die Augen auf. Ick bin die Treppe hoch zu meinem Bruder jerannt. Der hat dann gleich die Polizei jerufen.«
»Hat er nichts gesehen?«, fragte Treidler.
»Wer?«
»Dein Bruder.«
Achmed schüttelte den Kopf.
»War sonst noch wer im Haus?«
Unruhig trat Achmed von einem Fuß auf den anderen. »Nee, bestimmt nicht.«
»Was macht dich da so sicher?«
»Weil ick seine Schritte auf der Treppe jehört habe. Der hat’s eilig jehabt. Dann seid ihr schon jekommen, und dann jing der Zauber mit der Polente erst richtig los.« Wieder schaute sich Achmed um.
»Was ist los mit dir?«
»Ick gloob, ick muss pinkeln.«
»Du kannst jetzt auch gehen, wenn du willst«, erklärte Treidler. »Aber ich muss deinen Namen unseren Kollegen weitergeben. Es kann sein, dass irgendwann richtige Polizisten mit Knarren kommen, weil sie noch ein paar Dinge von dir wissen wollen.«
Als ob er nur auf diese Antwort gewartet hätte, drehte sich der Junge auf dem Absatz um und verschwand mit einem »Ja, ja« durch die Tür.
»Etwa eins sechzig bis eins fünfundsechzig«, sagte Treidler und blickte zu Melchior. »Oder ein kleinerer Mann, wie ihn der Nachttankwart von der Rastanlage beschrieb. Außerdem zieht unser Unbekannter den Fuß etwas nach, hat kurze schwarze Haare, breite Schultern und trug zumindest gestern einen dunklen Anzug. Keine schlechte Beschreibung für einen Mann, den bisher niemand so
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